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SozSys 1 (1995), H.1
Zusammenfassungen

 

Zusammenfassungen

Niklas Luhmann:
Kausalität im Süden
(Vollständiger Artikel)

Politische Entwicklungsplanungen, die rechtliche und monetäre Mechanismen benutzen, haben sich als wenig erfolgreich erwiesen. Widerstand gegen Modernisierung ist, infolge dieser Erfahrung, durch Faktoren wie "Tradition", "Kultur", "Mentalitäten" erklärt worden. Aber solche Erklärungen sind mehr oder weniger tautologisch geblieben. Es wird vorgeschlagen, sie durch einen Faktor zu ersetzen, den man als "soziale Konstruktion" von Kausalität bezeichnen könnte.
Nach jahrzehntelangen Forschungen über Kausalattribution und Wahrnehmung kausaler Beziehungen kann man nicht mehr davon ausgehen, daß Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen objektive Sachverhalte der Welt seien, über die dann wahre bzw. unwahre Urteile möglich sind. Vielmehr geht es um eine Unendlichkeit möglicher Kombination von Ursachen und Wirkungen, die nur extrem selektiv genutzt werden kann, wenn ein Zusammenhang von bestimmten Ursachen mit bestimmten Wirkungen irgendeinen kognitiven oder praktischen Sinn geben soll. In anderen Worten: Kausalität ist ein Medium lose gekoppelter Möglichkeiten, dessen Verwendung eine Bildung von relationalen Formen, also eine feste Kopplung bestimmter Ursachen und bestimmter Wirkungen erfordert. Aussichten auf erfolgreiches Handeln ebenso wie das Beobachten der Intentionen anderer hängt von einer solchen Formselektion ab. Dabei handelt es sich um soziale Konstrukte, deren Konstruktion jedoch nicht wie eine Meta-Ursache, gleichsam als Ursache der Kausalität selbst, in das Kausalschema aufgenommen wird. Vielmehr dient die Formbildung als "blinder Fleck", der es überhaupt erst ermöglicht, Kausalität zu sehen und zu benutzen.
Wenn eine Gesellschaft daran gewöhnt ist, Kausalität in personalisierten sozialen Netzwerken zu lokalisieren und Erfolge bzw. Mißerfolge vom Gebrauch dieser spezifischen Form von Kausalität zu erwarten, wird es sehr schwierig sein, an diesen Bedingtheiten etwas zu ändern, wenn nicht als Ersatz gleichermaßen handliche Kausalformen zur Verfügung gestellt werden können. Mehr Geld und mehr Rechtsvorschriften werden nur dazu dienen, die Wirksamkeit der Kontakte des Netzwerks zu erproben und zu bestätigen. 

Rudolf Stichweh:
Zur Theorie der Weltgesellschaft

Die Idee der Weltgesellschaft entsteht auf der Grundlage des sich in der frühen Neuzeit herausbildenden europäischen Staatensystems als Idee einer Makroordnung, die sich mittels der klassischen politischen Typologie der Regierungsformen nicht mehr beschreiben läßt. Der Aufsatz prüft die Anwendbarkeit des Gesellschaftsbegriffs und expliziert die Leithypothese, daß die wechselseitige Durchdringung von Globalem und Lokalem sich als Penetration des einzelnen kommunikativen Akts erweisen lassen muß. Eine Annahme über weltweite Anschließbarkeit weiterer Kommunikationen ("und-so-weiter"-Hypothese) und eine Dekontextualisierungsthese, die u.a. die Bedeutung generalisierter Symbole herausarbeitet, sind konstitutiv für diese Leithypothese. Der Aufsatz vergleicht alternative Vorstellungen über die Identifikation und Interaktion von Systemebenen im System der Weltgesellschaft. Abschließend versucht er eine Antwort auf die Frage, ob sich von einer Kultur der Weltgesellschaft und von einem politischen System der Weltgesellschaft sinnvoll sprechen läßt. 

Stephan Fuchs:
The Stratified Order of Gossip. Informal Communication in Organizations and Science

Typen von Klatsch sind zu unterscheiden: "Informationsklatsch" zirkuliert in kosmopolitischen Netzwerken, deren Mitglieder mit ungewissen und sich schnell verändernden Umwelten zu tun haben, also beispielsweise auf Finanzmärkten oder an Forschungsfronten. Im Unterschied dazu hat "Moralklatsch" mit Skandalen zu, und er floriert in kleinen und dichten Gemeinschaften. In Abhängigkeit von ihrem Status, ihren eingegangenen Engagements und ihren Chancen in Organisationen gehören Personen verschiedenen Netzwerken an und klatschen mit verschiedenen anderen Personen über verschiedene Dinge. Derart entstehen differente konversationelle Schichtkulturen, die Schichtung über Arten des Sprechens reproduzieren. Kerngruppen mit hohem Status tauschen privilegierten Informationsklatsch aus, während periphere Gruppen über lokale Ereignisse und deviante Personen klatschen. Das Argument wird am Beispiel von Organisationen im Wissenschaftssystem illustriert. Dort klatschen kosmopolitische und innovative Kerngruppen über die Frage, wie die Zukunft aussieht und wem sie gehört. Periphere Gruppen mit beschränkteren Netzwerken dagegen klatschen über lokale Angelegenheiten und das Privatleben. 

Uwe Schimank:
Teilsystemevolutionen und Akteurstrategien: Die zwei Seiten struktureller Dynamiken moderner Gesellschaften

Der Beitrag versucht, zwei grundleged verschiedene soziologische Perspektiven auf die Strukturdynamiken moderner Gesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen: die systemtheoretische Perspektive Niklas Luhmanns und eine durch Rational Choice geprägte akteurstheoretische Perspektive. In der systemtheoretischen Perspektive stellt sich gesellschaftliche Strukturdynamik als Koevolution teilsystemischer Autopoiesen, in der akteurstheoretischen Perspektive als transintentionaler Effekt strategischen Handelns in Akteurkonstellationen dar. Beide Perspektiven sind komplementär und lassen sich, auch wenn sie zunächst als inkompatibel miteinander erscheinen, miteinander verbinden. 

Dirk Baecker:
Nichttriviale Transformation

Die sozialwissenschaftliche Forschung zu Transformationsprozessen sozialistischer in kapitalistische Gesellschaften kommt bisher weitgehend ohne einen expliziten Begriff der Transformation aus. Ein kybernetischer Transformationsbegriff ist geeignet, einen Großteil der Annahmen und Ergebnisse der bisherigen Transformationsforschung zu rekonstruieren. Darüber hinaus bietet die Erweiterung des Begriffs um das Moment der Selbstreferenz Ansatzpunkte für eine Beschreibung der Abhängigkeit der Transformation von selbst gemachten Festlegungen. Dies ermöglicht eine Beschreibung der Transformation als hochselektiven Prozeß, der sich erst im Zuge seiner eigenen Problematisierung mit der Gesellschaft vertraut macht, in der er abläuft. Die Voraussetzung einer sozialistischen Gesellschaft, die in eine kapitalistische Gesellschaft transformiert wird, löst sich auf in die Erfahrung einer Transformationsgesellschaft, die weder als sozialistisch noch als kapitalistisch zu beschreiben ist. 

Michael de Vries:
"Up or Out" in Partnerships: Karriere- und Organisationsprinzipien als Strukturen zur Selbsterhaltung von Beratungsgesellschaften

Beratungsgesellschaften müssen sich permanent gegen das Risiko der Integration in ihre Klientorganisationen zur Wehr setzten. Das Problem der Fortsetzung ihrer eigenen Autopoiesis und damit Grenzziehung lösen sie mithilfe von Strukturen. Als solche Strukturen werden "Up Or Out”-Regeln und die Organisation als Partnerschaften identifiziert. Mithilfe dieser Strukturen werden eindeutig auf das System "Beratungsgesellschaft” zurechenbare Entscheidungskommunikationen (re-) produziert. 

Wolfgang Ludwig Schneider:
Objektive Hermeneutik als Forschungsmethode der Systemtheorie

Systemtheorie und Hermeneutik, so die übliche Auffassung, sind generell inkompatibel. Der Beitrag versucht diese Annahme anhand eines Vergleichs zwischen funktional-struktureller Systemtheorie und objektiver Hermeneutik zu entkräften. Dazu startet er mit der Diskussion der Frage, welche Technik der Sinnanalyse aus dem systemtheoretischen Sinn- und Kommunikationsbegriff gewonnen werden kann. Das Ergebnis dieser Transposition systemtheoretischer Konzepte ins Methodische ist eine Reiehe von Direktiven der Auslegung, die sich decken mit den zentralen methodischen Anweisungen der von Oevermann und seiner Forschungsgruppe entwickelten "objektiven Hermeneutik". Die Interpretationsregeln der objektiven Hermeneutik, so die dadurch begründete These, sind präzise auf die systemtheoretische Beschreibung der autopoietischen Organisation von Kommunikation zugeschnitten. Die objektive Hermeneutik erscheint deshalb in spezifischer Weise als Forschungsmethode der Systemtheorie geeignet. Anhand der Interpretation einer kurzen Kommunikationssequenz wird versucht, diese These auch forschungspraktisch zu plaubilisieren.

 

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