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SozSys 5 (1999), H.1
Zusammenfassungen

 

Zusammenfassungen

David Borger:
Der Sinn des Rechnungswesens: Finanzinstrumente und die Reproduktion von Unternehmensgrenzen

Zusammenfassung: Dieser Beitrag untersucht die Struktur von Begründungen in der britischen Normendiskussion zur Rechnungslegung von Finanzinstrumenten mit Konzepten der Luhmannschen Systemtheorie. Es zeigt sich, daß unterschiedliche Unternehmensmodelle, die bestimmten Sinnfestlegungen für das Rechnungswesen entsprechen, die Debatte bestimmen. Am Beispiel der britischen Rechnungslegung für langfristige Schulden wird genauer dargestellt, wie durch eine regulative Initiative eingeführte Sinnvariationen auf den Widerstand von gesellschaftlich und berufsständisch etablierten Sinnfestlegungen stossen. Die dargestellte Untersuchung führt zu der Schlußfolgerung, daß der Erfolg der noch andauernden Initiative zur Rechnungslegung für Finanzinstrumente weniger von "wirtschaftlichen Konsequenzen" und politischer Einflußnahme, als vielmehr von der evolutionären Stabilisierung einer Sinnvariation und damit von einer Metamorphose der gesellschaftlich konstruierten Unternehmensgrenzen abhängen wird.

Michael Hutter:
Wie der Überfluß flüssig wurde. Zur Geschichte und zur Zukunft der knappen Ressourcen
(Vollständiger Aufsatz)

Zusammenfassung: Die Selbstausgrenzung der Wirtschaft ist entscheidend abhängig von der internen Installation des Paradoxes der Knappheit. Das Verständnis der Knappheit ist, das ist die erste These dieses Beitrags, selbst Ergebnis einer historischen Entwicklung, in der Knappheit ihrerseits durch die Unterscheidung vom Überfluß konstituiert wurde. Nachdem Knappheit im Wirtschaftssystem verankert geworden war, tauchte der Überfluß an der Außenseite des Systems in Form der "flüssigen" Ressourcen auf. Im Verlauf der Geschichte wurde die Eigenschaft, Ressource, also Quelle wirtschaftlichen "Mehrwerts" zu sein, unterschiedlich konstituierten selbstre-produzierenden Systemen in der Umwelt der Wirtschaft zugeschrieben. Zukünftig, das ist die zweite These des Beitrags, werden andere Kommunikationssysteme den größten Teil der knappen Ressourcen ausmachen. Die allen Kommunikationssyste-men gemeinsame Ereignisstruktur wird zu neuen Selbstausgrenzungsformen der Wirtschaft führen.

Achim Brosziewski:
Computer und die Transparenz des Unternehmens

Zusammenfassung: Der folgende Beitrag geht von der Annahme Niklas Luhmanns aus, der zufolge eines der Hauptprobleme im Management komplexer Organisationen in der Transformation von Unsicherheit durch Entscheidungen liegt. Vermittelt über eine Analyse der Form des Datums und ihrer kommunikativen Funktion kann man den vermehrten Gebrauch von Aufzeichnungen, Datenverarbeitungs- und Datenverbreitungsprogrammen auf dieses Grundproblem beziehen. Daten stellen kommunikative Unbestreitbarkeiten und in diesem Sinne Sicherheitsmomente in sachlich komplexen Fragen dar. Die Kontingenz der Sachverhalte - und mit ihr der Entscheidungsbedarf - verlagert sich bei datengestützter Kommunikation in die zeitliche Dimension, in die Frage von Konstanz und Variabilität der Daten und das Problem, Soll-Werte auszuwählen, anhand derer Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsnotwendigkeiten zu bestimmen sind. Im Hinblick auf die Kommunikation in Unternehmen und deren Strukturen wird die These entwickelt, daß die Umstellung vom traditionellen Verarbeitungs- und Verbreitungsmedium von Daten, dem Papier, auf elektromagnetische Technologien einen Wandel der Beschreibung von Aufgaben und Funktionen mit sich bringt und so zur Emergenz einer unternehmensinternen Aufgabenöffentlichkeit beiträgt.

Angelika Menne-Haritz:
Schließung und Öffnung der Verwaltungsentscheidung: Funktionen schriftlicher Aufzeichnungen im Vorgang

Zusammenfassung: Entscheidungsfindung in der Verwaltung kann verschiedene Formen annehmen, je nachdem wie Schriftlichkeit und Mündlichkeit eingesetzt werden. Der Vorgang ist die dritte Form zwischen monokratischer Hierarchie mit Weisungen und Berichten und kollegialer Debatte. Er nutzt die Differenz, die beim Einsatz schriftlicher Kommunikation zwischen der verbalen Mitteilung und dem materiellen Kontext entsteht. Er stützt sich allein auf Wahrnehmung, um interne formelle Kommunikation zu vermeiden. Der dabei entstehende, immer wieder anders geformte Entscheidungsprozeß erstellt in sich fortschreitend verstärkender Selektion die später nach außen mitgeteilte Information zur Lösung der ursprünglichen offenen Frage. Er hat die Form einer Episode im Interaktionssystem Geschäftsgang, das die erforderlichen Erwartungen über die Beschreibung und Zuordnung von Zuständigkeiten herstellt.

Fritz B. Simon:
Organisationen und Familien als soziale Systeme unterschiedlichen Typs

Zusammenfassung: Familien und Organisationen, insbesondere Unternehmen, werden im Blick auf die losere vs. festere Kopplung mit organischen und psychischen Systemen als ihren Umwelten und die losere vs. festere Kopplung ihrer kommunikativen Elemente einander gegenübergestellt. Es werden Unterschiede der Inklusion und Exlusion von Personen vs. Kommunikationen, sowie Auswirkungen von oraler vs. literaler Kommunikation auf das Gedächtnis beider Systemtypen analysiert. Schließlich werden die kommunikativen Auswirkungen unterschiedlicher Reziprozitätserwartungen und Bilanzierungsmethoden für individuelle Leistungen diskutiert. Den Schluß bilden Überlegungen zur Besonderheit von Familienunternehmen, die sich aus der strukturellen Kopplung von Familie und Unternehmen ergeben und charaktistische psychische Folgen haben können.

Rudolf Stichweh:
Globalisierung von Wirtschaft und Wissenschaft: Produktion und Transfer wissenschaftlichen Wissens in zwei Funktionssystemen der modernen Gesellschaft

Zusammenfassung: Der Aufsatz vergleicht die Globalisierung wissenschaftlichen Wissens im akademischen Kernsektor des Wissenschaftssystems mit Prozessen der Globalisierung in Wirtschaftsorganisationen, soweit diese letzteren mit Forschung und Entwicklung zu tun haben und insofern mit einem Teil ihres Tätigkeitsspektrums im Wissenschaftssystem verankert sind. Der auffälligste Befund ist der der Divergenz der Globalisierungsmuster. Im akademischen Kernsektor sind die Organisationen (Universitäten, Forschungsinstitute, Akademien) primär national orientiert. Ungeachtet dessen vollzieht sich eine problemlose Globalisierung der Wissenschaft, die sich auf andere Formen der Strukturbildung stützt: Disziplinäre Differenzierung, globale Kommunikationsnetzwerke, Muster organisationsunabhängiger Kooperation. In der Wirtschaft ist demgegenüber eine spezifische Form der Organisation, das multinationale Unternehmen, der wichtigste Träger der Globalisierung. Globalisierung von Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft bleibt daher an die Imperative multinationaler Unternehmen gebunden. Transfer von Wissen über Organisationsgrenzen hinweg scheint dann eher schwierig, und gerade globale Unternehmen konzentrieren Forschung und Entwicklung häufig noch in ihrem Herkunftsland, so daß in diesem Fall die wissenschaftliche Komponente eher als ein retardierendes Moment in der Globalisierung von Wirtschaftsorganisationen zu wirken scheint. Abschließend diskutiert der Aufsatz die Beziehungen und Austauschmuster zwischen diesen beiden großen Sektoren wissenschaftlicher Forschung und stellt die Frage, ob die Mehrzahl der von Funktionssystem zu Funktionssystem differierenden Erwartungen an die Beiträge wissenschaftlicher Forschung die kognitive Autonomie der Wissenschaft verletzt.

Veronika Tacke:
Wirtschaftsorganisationen als Reflexionsproblem. Zum Verhältnis von Neuem Institutionalismus und Systemtheorie

Zusammenfassung: Entlang der Frage einer angemessenen Beschreibung von Wirtschaftsorganisationen diskutiert der Artikel institutionenökonomische (Williamsion) und neo-institutionalistische (March/Olsen) Theoriebeiträge zur Organisationsforschung. Während beide Ansätze in ihrer Beschreibung die Existenz von Wirtschaftsorganisationen selbstverständlich unterstellen, kann keine der Theorien diese in ihren ökonomischen und organisatorischen Aspekten begrifflich erfassen. Im Rahmen der Systemtheorie und mit Bezug auf die Unterscheidung von Systemreferenzen (Funktion, Leistung, Reflexion) wird vorgeschlagen, beide Beschreibungen als Reflexionstheorien aufzufassen. Die komplementären theoriebezogenen Begrenzungen institutionalistischer Beschreibungen können so auf ebenenspezifische (ökonomische bzw. organisatorische) Bedingungen der systemischen Selbstsimplifikation zurückgeführt werden. Beide Beschreibungen reflektieren dabei mit dem Konzept der Institution die selbstreferentielle Einbettung sozialer Systeme in die Strukturen funktionaler Differenzierung. Auf diese Weise wird erkennbar, daß die Wirtschaftsorganisationen - diese "institutionelle Mischung" aus Ökonomie und Organisation - als eine Selbstsimplifikation von Organisationen verstanden werden muß. Dieser Form der Reflexion folgt der Neo-Institutionalismus - im Unterschied zur Institutionenökonomie und auch zur Systemtheorie. Die grundlegende Differenz zwischen Institutionalismus und Systemtheorie wird abschließend in ihrer Bedeutung für die Forschung beleuchtet.

Gunther Teubner:
Eigensinnige Produktionsregimes: Zur Ko-evolution von Wirtschaft und Recht in den varieties of capitalism

Zusammenfassung: Der Beitrag nimmt die unterschiedliche Rezeption von Just-in-time Verträgen in den USA und Deutschland zum Anlaß, um der Frage nachzugehen, warum entgegen allen Erwartungen die Globalisierung der Märkte nicht zu einer Konvergenz ökonomischer und rechtlicher Institutionen geführt hat. Er setzt sich insbesonderen mit zwei Theorien auseinander, welche die institutional varieties of capitalism systematisch zu erklären suchen. Die Theorie der Produktionsregimes führt den Eigensinn der Institutionen darauf zurück, daß regionale Produktionsregimes Systeme von Einzelinstitutionen bilden, deren Elemente sich wechselseitig stabilisieren. Die Theorie institutioneller Ko-Selektion erklärt die Abweichung von der Effizienzauzslese damit, daß ihre Umweltanpassung nicht nur von Markteffizienz allein, sondern auch von politischen, technologischen und kulturellen Selektionskriterien diktiert wird. Demgegenüber führt der Beitrag den Eigensinn der Produktionsregimes nicht auf die Interdependenz von wirtschaftsinternen Institutionen zurück, sondern auf die ultrazyklische Verknüpfung von Strukturen der Wirtschaft, des Rechts und der Politik. Ihre Entwicklung läßt sich als Ko-evolution von autonomen Entwicklungspfaden in unterschiedlichen Teilsystemen verstehen. Varieties auf capitalism sind dann Ergebnis unterschiedlicher Konfigurationen der Koevolution, in denen teilsystemische Evolutionsmechanismen wechselseitig einander beeinflussen.

Gerd Walger/Franz Schencking:
Dienstleistungen und ihre Beschreibung

Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob Dienstleistungen nur als Produkte denkbar sind oder aber eine eigene Qualität darstellen. Sie ist im Kern die Frage danach, ob es zwischen der Beschreibung einer Dienstleistung und eines Sachguts einen Unterschied im Hinblick auf ihre Erstellung und die Beziehung zum Kunden gibt. Dazu wird zum einen die betriebswirtschaftliche und zum anderen die systemtheoretische Beschreibung von Dienstleistungen untersucht. Dabei wird herausgearbeitet, mit welchen Schwierigkeiten die betriebswirtschaftliche Beschreibung von Dienstleistungen verbunden ist, die Dienstleistungen ausgehend von der Produktionstheorie zu beschreibt sucht. Die Untersuchung der systemtheoretischen Beschreibung geht aus von der Differenz zwischen der Konstitution des Dienstleistungsunternehmens als Kommunikationssystem, das seine Produktion nicht allein bestimmen kann, und seiner Selbstbeschreibung als Handlungs- und Input-Output-System.

Rudolf Wimmer:
Wider den Veränderungsoptimismus. Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer radikalen Transformation von Organisationen

Zusammenfassung: In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen mit großen Aufwand versucht, ihre gewachsenen Organisationsstrukturen radikal umzugestalten. Die Zerschlagung in unternehmerisch eigenverantwortliche Geschäftsfelder, das Reengineering der Geschäftsprozesse, die Ausgliederung von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Aktivitäten, die Fusion mit zugekauften Unternehmen rund um den Erdball, der Aufbau von Partnerschaften und Unternehmensnetzwerken, all dies sind Maßnahmen, die stets mit einer weitreichenden Transformation der bestehenden Organisationsverhältnisse verbunden sind, Empirische Studien zeigen, daß der Erfolgsoptimismus, mit dem solche Veränderungsprojekte regelmäßig gestartet werden, in den wenigsten Fällen berechtigt ist. Es wird die hohe Komplexität, die mit jeder Transformation von Organisationen unvermeidlich verknüpft ist, in den allermeisten Fällen weit unterschätzt. Eine systemtheoretisch inspirierte Beschreibung der Möglichkeiten und Grenzen solcher Verhinderungsanstrengungen kann Hinweise dafür liefern, welche zentralen Herausforderungen in solchen Prozessen wie bewältigt werden können.

 

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