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Hefte
SozSys 6 (2000), H.2
Zusammenfassungen

 

Zusammenfassungen

Dirk Baecker:
Die Theorieform des Systems

Die Systemtheorie produziert gegenüber traditionellen Theorien eine Abweichung. Sie ersetzt das Erklärungsprinzip der Kausalität durch das Erklärungsprinzip der Funktion. Der Beitrag zeigt, welches skandalon in dieser Substitution steckt und erläutert einige Modelle (Selbstorganisation, Tanz, Nichttrivialität, strukturelle Kopplung), mit denen das Erklärungsprinzip der Funktion in Arbeit versetzt wird. Abschließend stellt der Beitrag die These auf, daß die Systemtheorie auf einen allgemeinen Begriff der Kommunikation zuläuft, wenn Kommunikation nicht nur heißt: Mitteilung von Wissen, sondern vor allem: Eruierung von Nichtwissen.


Rudolf Stichweh:
Semantik und Sozialstruktur. Zur Logik einer systemtheoretischen Unterscheidung

Der Aufsatz versucht das analytische Profil eines wissenschaftlichen Vorgehens zu bestimmen, das auf die Leitunterscheidung von Semantik und Sozialstruktur fokussiert ist. Diese Unterscheidung, die vielfach - und auch bei Niklas Luhmann - so verwendet wird, als trenne sie zwei einigermaßen unabhängige Relata, deren Kovariation man anschließend bestimmen kann, erweist sich als eine, die zwei verschiedene Beschreibungen desselben Sachverhalts ("höherstufig generalisierter Sinn") einander gegenüberstellt. Semantik kommt in allen - auch in schriftlosen - Gesellschaften vor. Sie versorgt das operative Prozessieren von Systemen und deren Strukturbildung mit Unterscheidungen, und sie ist deshalb konstitutiv für Sozialstruktur. Diese konstitutive Rolle fällt ihr auch zu, wenn sie als retrospektive Sinnbildung erscheint. Ausdifferenzierung stellt sich als ein Schlüsselbegriff heraus, weil er auf die Form hinweist, in der Semantik und Sozialstruktur in Prozessen der Systembildung transformiert werden, wie er auch die Möglichkeit der Separierung von Spezialsystemen für die Produktion von Semantik (Diskursen) zu analysieren erlaubt. Semantik hat es mit möglichen Sozialstrukturen zu tun, in deren Beschreibung die Frage einer normativen oder kognitiven Stilisierung des Erwartens temporär in der Schwebe bleibt.


Eric M. Leifer/Valli Rajah:
Getting observation

(Vollständiger Aufsatz als PDF-Datei)

Im Kampf um begehrte Rollen erwächst dem Empfänger adressierter Handlungen ein strategischer Vorteil. Das Problem ist, daß man, um adressierte Handlungen zu empfangen, diese erst einmal senden muß, um so Antworten einzuwerben. Zwei Ambiguitätsformen werden eingesetzt, um adressierte Handlungen zu empfangen, ohne den eigenen Vorteil aufzugeben. Zielambiguität verschleiert, an wen sich adressierte Handlungen wenden, während Inhaltsambiguität eine empfangene adressierte Handlung nutzlos werden läßt. Diese beiden Ambiguitätsstrategien werden in verschiedenen settings veranschaulicht, wobei das Problem gestellt wird, wie der Übergang zwischen ihnen bewältigt wird. Da jede dieser Strategien dazu tendiert, sich selbst zu perpetuieren, können sie das Auftreten distinkter Rollen innerhalb der Interaktion verzögern. Rollen kristallisieren um ein Scheitern im Kampf um den Empfang adressierter Handlung, sobald es jemandem gelingt, eine nützliche Beobachtung zu erhalten.


Klaus Holz:
Die Figur des Dritten in der nationalen Ordnung der Welt

Gibt es ein allgemeines Muster, wie sich antisemitische und xenophobe Bilder unterscheiden? Um diese Frage zu beantworten, muß man die komplementäre, in der Moderne dominant nationale Konstruktion von Wir-Gruppen systematisch berücksichtigen. Die nationale Semantik ist durch die Unterscheidung zwischen einer eigenen und den anderen Nationen konstituiert. Auf der Innen- und der Außenseite wird dieselbe Kategorie verwendet, so daß die Welt als Welt von Völkern und Nationen begriffen wird. Auf dieser Unterscheidung beruhen die Fremdbilder nationaler Wir-Gruppen. Dagegen werden die Juden im Antisemitismus als die vorgestellt, die es gemäß der nationalen Ordnung der Welt nicht geben dürfte. Sie verkörpern den Dritten in Bezug auf die Unterscheidung zwischen unserer und den anderen Nationen. Dementsprechend wird der Dritte paradox als nicht-nationale Nation vorgestellt.


Veronika Tacke:
Netzwerk und Adresse

Der Artikel schlägt vor, Netzwerke systemtheoretisch über das Konzept der sozialen Adresse zu konzeptualisieren und im Kontext der Theorie funktionaler Differenzierung als eine sekundäre Form der Ordnungsbildung in der modernen Gesellschaft zu beschreiben. Im Unterschied zu Systemen, deren Konstitution einem Primat der Problemstellung folgt, bilden sich (personale und organisationale) Netzwerke über einen Primat der Adresse. Sie konstituieren sich durch eine reflexive Kombination von Möglichkeiten, die mit 'polykontexturalen Adressen' - ihrem spezifischen Profil der Inklusion und Exklusion - verbundenen sind. Sie generieren dabei neue Problemstellungen und Steigerungsmöglichkeiten. Der Artikel entwickelt den Begriffsvorschlag in Auseinandersetzung mit dem soziologischen Netzwerkansatz und entfaltet ihn sodann im Rekurs auf differenzierungstheoretische Argumente und empirische Einsichten aus der Migrations- und Organisationsforschung.


Klaus Kuhm:
Raum als Medium gesellschaftlicher Kommunikation

Der Aufsatz behandelt die soziale Relevanz des Raumes in der modernen Gesellschaft. Regional gegebene und zum Teil massive Unterschiede in den Lebensbedingungen der Menschen werden als strukturelle Effekte eines emergenten und heute als Weltgesellschaft realisierten Sozialsystems rekonstruiert. Diese Diagnose verwirft etablierte Vorstellungen insbesondere der Stadt- und Regionalsoziologie, die von einer Mehrheit von Nationalgesellschaften mit primär regionaler Differenzierung ausgehen. Sie macht es aber auch nötig, das Nachdenken über die Modi der gesellschaftsinternen Erzeugung räumlicher Unterschiede zu intensivieren. Die Systemtheorie hält dazu die Unterscheidung von Medium und Form bereit. Danach konstituiert sich ein sozialer Raum als Medium der Kommunikation auf der Basis einer Unterscheidung von Stellen und Objekten, die über die Markierung räumlicher Grenzen oder Distanzen zur Formbildung genutzt werden kann. Es wird argumentiert, daß der Raum als Medium der Kommunikation auf der Ebene des Gesellschaftssystems an formprägender Kraft verliert und in seiner Funktion der Beschaffung von Sicherheitsgrundlagen in der Kommunikation weitgehend durch Organisation abgelöst ist. Andererseits bringt ihn dieser Sachverhalt nicht zum Verschwinden. Man kann vielmehr beobachten, daß nicht alle gesellschaftlichen Funktionssysteme gleich gut auf räumliche Schemata in ihren Operationen verzichten können. Der Aufsatz skizziert hierzu ein Forschungsprogramm, das danach fragt, wie raumbezogene Differenzen unter den Bedingungen einer weit getriebenen funktionalen Differenzierung so eingesetzt werden können, daß es unter Beteiligung der Politik zu Prozessen regionaler Strukturbildung kommt.


Peter Fuchs/Enrico Mahler:
Form und Funktion von Beratung

Beratung ist in all ihren Schattierungen und Anwendungsfeldern ein sozial erfolgreiches Phänomen. In dieser Untersuchung wird sie aufgefaßt als eine Form der Komunikation. Zunächst wird anhand von semantischhistorischen Bezügen herausgearbeitet, was der Begriff unterscheidet (Rat und Tat). Danach geht es um die Form, also um die Frage, wovon sich die Unterscheidung der Beratung unterscheidet. Im Ergebnis wird Beratung konzipiert als ein gesellschaftsweit anfallendes Komunikationschema, dessen Funktion darin besteht, die Effekte der Temporalisierung der Gesellschaft durch beratungsinduzierte Aufschübe und Verlangsamungen im Moment riskanter Wahlen abzufedern.

 

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