Zusammenfassungen
Dirk Baecker:
Die Theorieform des Systems
Die Systemtheorie produziert gegenüber traditionellen Theorien
eine Abweichung. Sie ersetzt das Erklärungsprinzip der Kausalität
durch das Erklärungsprinzip der Funktion. Der Beitrag zeigt, welches
skandalon in dieser Substitution steckt und erläutert einige Modelle
(Selbstorganisation, Tanz, Nichttrivialität, strukturelle Kopplung),
mit denen das Erklärungsprinzip der Funktion in Arbeit versetzt
wird. Abschließend stellt der Beitrag die These auf, daß die Systemtheorie
auf einen allgemeinen Begriff der Kommunikation zuläuft, wenn Kommunikation
nicht nur heißt: Mitteilung von Wissen, sondern vor allem: Eruierung
von Nichtwissen.
Rudolf Stichweh:
Semantik und Sozialstruktur. Zur Logik einer systemtheoretischen
Unterscheidung
Der Aufsatz versucht das analytische Profil eines wissenschaftlichen
Vorgehens zu bestimmen, das auf die Leitunterscheidung von Semantik
und Sozialstruktur fokussiert ist. Diese Unterscheidung, die vielfach
- und auch bei Niklas Luhmann - so verwendet wird, als trenne sie
zwei einigermaßen unabhängige Relata, deren Kovariation man anschließend
bestimmen kann, erweist sich als eine, die zwei verschiedene Beschreibungen
desselben Sachverhalts ("höherstufig generalisierter Sinn") einander
gegenüberstellt. Semantik kommt in allen - auch in schriftlosen
- Gesellschaften vor. Sie versorgt das operative Prozessieren von
Systemen und deren Strukturbildung mit Unterscheidungen, und sie
ist deshalb konstitutiv für Sozialstruktur. Diese konstitutive Rolle
fällt ihr auch zu, wenn sie als retrospektive Sinnbildung erscheint.
Ausdifferenzierung stellt sich als ein Schlüsselbegriff heraus,
weil er auf die Form hinweist, in der Semantik und Sozialstruktur
in Prozessen der Systembildung transformiert werden, wie er auch
die Möglichkeit der Separierung von Spezialsystemen für die Produktion
von Semantik (Diskursen) zu analysieren erlaubt. Semantik hat es
mit möglichen Sozialstrukturen zu tun, in deren Beschreibung die
Frage einer normativen oder kognitiven Stilisierung des Erwartens
temporär in der Schwebe bleibt.
Im Kampf um begehrte Rollen erwächst dem Empfänger adressierter
Handlungen ein strategischer Vorteil. Das Problem ist, daß man,
um adressierte Handlungen zu empfangen, diese erst einmal senden
muß, um so Antworten einzuwerben. Zwei Ambiguitätsformen werden
eingesetzt, um adressierte Handlungen zu empfangen, ohne den eigenen
Vorteil aufzugeben. Zielambiguität verschleiert, an wen sich adressierte
Handlungen wenden, während Inhaltsambiguität eine empfangene adressierte
Handlung nutzlos werden läßt. Diese beiden Ambiguitätsstrategien
werden in verschiedenen settings veranschaulicht, wobei das Problem
gestellt wird, wie der Übergang zwischen ihnen bewältigt wird. Da
jede dieser Strategien dazu tendiert, sich selbst zu perpetuieren,
können sie das Auftreten distinkter Rollen innerhalb der Interaktion
verzögern. Rollen kristallisieren um ein Scheitern im Kampf um den
Empfang adressierter Handlung, sobald es jemandem gelingt, eine
nützliche Beobachtung zu erhalten.
Klaus Holz:
Die Figur des Dritten in der nationalen Ordnung der Welt
Gibt es ein allgemeines Muster, wie sich antisemitische und xenophobe
Bilder unterscheiden? Um diese Frage zu beantworten, muß man die
komplementäre, in der Moderne dominant nationale Konstruktion von
Wir-Gruppen systematisch berücksichtigen. Die nationale Semantik
ist durch die Unterscheidung zwischen einer eigenen und den anderen
Nationen konstituiert. Auf der Innen- und der Außenseite wird dieselbe
Kategorie verwendet, so daß die Welt als Welt von Völkern und Nationen
begriffen wird. Auf dieser Unterscheidung beruhen die Fremdbilder
nationaler Wir-Gruppen. Dagegen werden die Juden im Antisemitismus
als die vorgestellt, die es gemäß der nationalen Ordnung der Welt
nicht geben dürfte. Sie verkörpern den Dritten in Bezug auf die
Unterscheidung zwischen unserer und den anderen Nationen. Dementsprechend
wird der Dritte paradox als nicht-nationale Nation vorgestellt.
Veronika Tacke:
Netzwerk und Adresse
Der Artikel schlägt vor, Netzwerke systemtheoretisch über das
Konzept der sozialen Adresse zu konzeptualisieren und im Kontext
der Theorie funktionaler Differenzierung als eine sekundäre Form
der Ordnungsbildung in der modernen Gesellschaft zu beschreiben.
Im Unterschied zu Systemen, deren Konstitution einem Primat der
Problemstellung folgt, bilden sich (personale und organisationale)
Netzwerke über einen Primat der Adresse. Sie konstituieren sich
durch eine reflexive Kombination von Möglichkeiten, die mit 'polykontexturalen
Adressen' - ihrem spezifischen Profil der Inklusion und Exklusion
- verbundenen sind. Sie generieren dabei neue Problemstellungen
und Steigerungsmöglichkeiten. Der Artikel entwickelt den Begriffsvorschlag
in Auseinandersetzung mit dem soziologischen Netzwerkansatz und
entfaltet ihn sodann im Rekurs auf differenzierungstheoretische
Argumente und empirische Einsichten aus der Migrations- und Organisationsforschung.
Klaus Kuhm:
Raum als Medium gesellschaftlicher Kommunikation
Der Aufsatz behandelt die soziale Relevanz des Raumes in der modernen
Gesellschaft. Regional gegebene und zum Teil massive Unterschiede
in den Lebensbedingungen der Menschen werden als strukturelle Effekte
eines emergenten und heute als Weltgesellschaft realisierten Sozialsystems
rekonstruiert. Diese Diagnose verwirft etablierte Vorstellungen
insbesondere der Stadt- und Regionalsoziologie, die von einer Mehrheit
von Nationalgesellschaften mit primär regionaler Differenzierung
ausgehen. Sie macht es aber auch nötig, das Nachdenken über die
Modi der gesellschaftsinternen Erzeugung räumlicher Unterschiede
zu intensivieren. Die Systemtheorie hält dazu die Unterscheidung
von Medium und Form bereit. Danach konstituiert sich ein sozialer
Raum als Medium der Kommunikation auf der Basis einer Unterscheidung
von Stellen und Objekten, die über die Markierung räumlicher Grenzen
oder Distanzen zur Formbildung genutzt werden kann. Es wird argumentiert,
daß der Raum als Medium der Kommunikation auf der Ebene des Gesellschaftssystems
an formprägender Kraft verliert und in seiner Funktion der Beschaffung
von Sicherheitsgrundlagen in der Kommunikation weitgehend durch
Organisation abgelöst ist. Andererseits bringt ihn dieser Sachverhalt
nicht zum Verschwinden. Man kann vielmehr beobachten, daß nicht
alle gesellschaftlichen Funktionssysteme gleich gut auf räumliche
Schemata in ihren Operationen verzichten können. Der Aufsatz skizziert
hierzu ein Forschungsprogramm, das danach fragt, wie raumbezogene
Differenzen unter den Bedingungen einer weit getriebenen funktionalen
Differenzierung so eingesetzt werden können, daß es unter Beteiligung
der Politik zu Prozessen regionaler Strukturbildung kommt.
Peter Fuchs/Enrico Mahler:
Form und Funktion von Beratung
Beratung ist in all ihren Schattierungen und Anwendungsfeldern
ein sozial erfolgreiches Phänomen. In dieser Untersuchung wird sie
aufgefaßt als eine Form der Komunikation. Zunächst wird anhand von
semantischhistorischen Bezügen herausgearbeitet, was der Begriff
unterscheidet (Rat und Tat). Danach geht es um die Form, also um
die Frage, wovon sich die Unterscheidung der Beratung unterscheidet.
Im Ergebnis wird Beratung konzipiert als ein gesellschaftsweit anfallendes
Komunikationschema, dessen Funktion darin besteht, die Effekte der
Temporalisierung der Gesellschaft durch beratungsinduzierte Aufschübe
und Verlangsamungen im Moment riskanter Wahlen abzufedern.
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