Deutschsprachige Zusammenfassungen
Jean Clam:
Probleme der Kopplung von Nur-Operationen. Kopplung, Verwerfung,
Verdünung
Zusammenfassung: Der Artikel untersucht das Konzept der strukturellen
Kopplung aus einer doppelten Perspektive: zum einen aus einer philosophischen
Sicht, in der das Konzept sich einem postontologischen Denkrahmen
einfügt, der durch ein operativistisches beziehungsweise kognitivistisches
Verständnis des Seins als Folge der Operation von Unterscheidungen,
die in ihren eigenen Raum der Unterscheidung wiedereintreten und
Formen der Koaleszenz bilden, die man Systeme nennen kann, gekennzeichnet
ist; und zum anderen aus einer systemischen Sicht, die auf die interne
Konsistenz des Konzepts der strukturellen Kopplung in Begriffen
einer radikalisierten Version der Theorie Luhmanns zielt. Beide
Sichtweisen verweisen auf ein Kontinuum von Unterscheidungsoperationen,
die in einer Weltzeit stattfinden, in der zu einem gegebenen Zeitpunkt
alle Operationen gleichzeitig stattfinden. Offenbar gibt es kein
überzeugendes Kriterium, das es erlauben würde, zwischen
der Kopplung der Systeme und den Systemen selbst zu unterscheiden.
Elena Esposito:
Strukturelle Kopplung mit unsichtbaren Maschinen
ZUSAMMENFASSUNG: Können wir uns Computer tatsächlich
als eine Alternative zur strukturellen Kopplung zwischen Bewußtsein
und Kommunikation vorstellen? Dies würde bedeuten, daß
Kommunikation durch das, was Niklas Luhmann "unsichtbare Maschinen"
nennt, irritiert werden könnte, und würde die Notwendigkeit
einer Revision grundlegender Konzepte der Theorie nach sich ziehen,
wie etwa der Autopoiesis, der doppelten Kontingenz und nicht zuletzt
der Kommunikation. Der Artikel untersucht diese Fragen und schlägt
vor, Interaktion mit Computern als eine Form der Selbstirritation
der Gesellschaft unter Bedingungen hoher Komplexität zu verstehen.
Dies hätte die Konsequenz, von einer neuen Form der Intransparenz
der Gesellschaft insgesamt sprechen zu können.
Giancarlo
Corsi:
"Geräuschlos und unbemerkt": Zur Paradoxie struktureller
Kopplung
Zusammenfassung: Strukturelle Kopplungen zwischen sozialen Systemen
weisen eine interessante doppelgesichtige Form auf. Einerseits sind
sie Vorbedingung für die Existenz jeder Art von System: sie
müssen vorausgesetzt werden und sind nicht für die gekoppelten
Systeme nicht zur Disposition. Deswegen sagt Luhmann, daß
strukturellen Kopplungen "geräuschlos und unbemerkt"
arbeiten. Andererseits sind alle bekannten Formen struktureller
Kopplungen zwischen sozialen Systemen in der modernen Gesellschaft
das Ergebnis von Entscheidungsprozessen oder sogar von Entscheidungsprogrammen.
Diese doppelgesichtige Form macht die strukturellen Kopplungen zu
Quellen von Irritation, da sie nicht transparent und nicht vorhersehbar
sind, sondern als Entscheidungsprämissen auftreten (Ziele,
Risiken, Planung usw.). Der Artikel zeigt an den beiden Beispielen
der Kopplung zwischen Recht und Politik und zwischen psychischen
und sozialen Systemen, wie diese Paradoxie arbeitet. Es wird die
These verfolgt, daß die gekoppelten Systeme nur dank dieser
Ambivalenz evoluieren und ihre historisch determinierten Strukturen
"konstruieren" können.
Tania Lieckweg:
Strukturelle Kopplung von Funktionssystemen "über"
Organisation
Zusammenfassung: Der Text versucht, die bei Luhmann häufiger
zu findende Formulierung "strukturelle Kopplung über Organisation"
weiter zu entwickeln. Damit soll gezeigt werden, dass es sich bei
der Formulierung um eine Zusammenfassung von drei möglichen
Bedeutungen von Organisation im Zusammenhang mit strukturellen Kopplungen
von Funktionssystemen handelt, die sich bei näherem Hinsehen
wie folgt unterscheiden lassen: (1) Organisation als Voraussetzung
für strukturelle Kopplung: Organisationen stellen ganz allgemein
mit ihren Strukturen die Voraussetzungen für die strukturelle
Kopplung von Funktionssystemen bereit, dies gilt für nahezu
alle Organisationen; (2) Organisation als strukturelle Kopplung:
Organisationen sind selbst strukturelle Kopplungen von Funktionssystemen,
so z.B. Universitäten in der Kopplung von Erziehung und Wissenschaft;
(3) Organisation als Vermittler struktureller Kopplung: spezifische
Organisationen stellen ihre Kommunikation zur Vermittlung und Realisierung
von bestimmten strukturellen Kopplungen zur Verfügung, so z.B.
Finanzämter in der Vermittlung der strukturellen Kopplung von
Politik und Wirtschaft durch Steuern. Von diesen drei möglichen
Bedeutungen von Organisationen im Zusammenhang mit strukturellen
Kopplungen muß deutlich unterschieden werden, dass Organisationen
als Multireferenten ständig zwischen den verschiedenen Logiken
der Funktionssysteme vermitteln. Abschließend soll die Annahme
zur Diskussion gestellt werden, dass unter Globalisierungsbedingungen
neue strukturelle Kopplungen von Funktionssystemen relevant werden,
nämlich die "über" Organisationen. Die Ausführungen
beziehen sich dabei auf die Globalisierungsentwicklungen in Recht
und Wirtschaft.
Michael Hutter:
Structural Coupling between Social Systems: Art and the Economy
as Mutual Sources of Growth
ZUSAMMENFASSUNG: Der Aufsatz erkundet den genauen Verlauf der strukturellen
Kopplung zwischen zwei Funktionssystemen. Der ausgewählte Fall
ist das Verhältnis zwischen der Wirtschaft und der Kunst. Historische
Beispiele werden vorgestellt und interpretiert. Die Beispiele beziehen
sich sowohl auf System-zu-System-Kopplungen als auch auf System-zu-Umwelt-Kopplungen.
"Bahnen der Irritation" zwischen den beiden Systemen sind
tatsächlich beobachtbar. Stile, in denen räumliche Formen
arrangiert und Erzählformen komponiert werden, haben die wirtschaftliche
Reproduktion irritiert; wirtschaftliche Themen haben die Reproduktion
der Künste irritiert. In beiden Fällen hat die stabilisierte
Irritation zu neuen Möglichkeiten weiterer Kommunikation geführt.
Der Grad der Komplexität und Intensität der strukturellen
Kopplungen wird deutlich erhöht, wenn Organisationen intervenieren
und die Wirkung der Kopplungen beeinflussen.
Dirk Baecker:
Kapital als strukturelle Kopplung
ZUSAMMENFASSUNG: Der Begriff des Kapitals beschreibt ein Kalkül
wirtschaftlicher und unternehmerischer Beobachtungen und Bemessungen
von Handlungen im sachlich, zeitlich und sozial bestimmten Blick
auf andere Handlungen. Der Beitrag nutzt das Konzept der strukturellen
Kopplung, um diese Eigenschaft des Kapitals zu beschreiben, denn
die Beobachtung und Bemessung von Handlungen findet typischerweise
sowohl im Hinblick auf die Selbstreferenz wie die Fremdreferenz
der Handlung statt, übergreift also die System/Umwelt-Differenz.
Der Beitrag diskutiert zunächst den aus der allgemeinen Systemtheorie
stammenden Begriff der strukturellen Kopplung und orientiert sich
dann an verschiedenen soziologischen Versionen, die Niklas Luhmann
für diesen Begriff entwickelt hat. Das Kapital erscheint als
eine strukturelle Kopplung von Wirtschaft und Unternehmen, die beide
und beide in ihrer Systemdifferenz an die gesellschaftliche, psychische
und natürliche Umwelt von Wirtschaft und Unternehmen koppelt.
Jac Christis:
Luhmann's theory of knowledge: beyond realism and constructivism?
Zusammenfassung: In diesem Aufsatz wird der grammatikalische Realismus
Wittgensteins verwendet für eine Klärung der Diskussion,
die Luhmann mit metaphysischen Realisten und skeptischen Idealisten
führt. Luhmann betont (gegen die metaphysischen Realisten)
mit Recht, daß die Bedeutung von Begriffen nicht durch ihre
Referenten bestimmt wird. Gleichzeitig aber hält er (gegen
die skeptischen Idealisten) mit Recht daran fest, daß diese
'Autonomie der Bedeutung' eine notwendige Bedingung ist, sowohl
für externe Referenz als auch für die Anwendung von Wahrheitsprädikaten
auf empirische Aussagen. Luhmann teilt die in diese Position enthaltene
Trennung von Bedeutung, Referenz und Wahrheit mit den grammatikalischen
Realismus. Wenn er ausspricht, daß wir keinen direkten Zugang
zur Außenwelt besitzen und diese deshalb unbekannt bleibt,
überschreitet er jedoch Sinngrenzen. Der Aufsatz zeigt, daß
diese Überschreitung unnötig ist. Was bleibt, ist eine
Position die sowohl metaphysisch-realistische Grundlagen als auch
konstruktivistische Exzessen vermeidet.
Peter Fuchs:
Von Jaunern und Vaganten - Das Inklusions/ Exklusions-Schema der
A-Sozialität unter frühneuzeitlichen Bedingungen und im
Dritten Reich
Zusammenfassung: Das Schema Inklusion/Exklusion bezeichnet einen
bedeutenden Aspekt der Kommunikationstheorie, insbesondere die Konstruktion
der sogenannten sozialen Adressse, einer sozialen Struktur, die
(wie etwa Rollen oder Personen) definiert, in welcher Form oder
inwieweit bewußte Systeme als Umwelt sozialer Systeme sozial
repräsentiert werden. Die Hauptthese ist, daß die Differenz
Inklusion/Exklusion als ein historisches Schema sich unter dem Druck
der Evolution verändert, insbesondere im Kontext des Übergangs
von der stratifizierten zur funktional differenzierten Ordnung der
(europäischen) Gesellschaft. Diese Idee wird geprüft anhand
von Mordbrennerakten bzw. Jauner- und Diebslisten vom 16. bis 18.
Jahrhundert. Das zentrale Ergebnis ist, daß die sozialen Adressen
der Kriminellen, der Gauner etc. einem Prozeß der Abstraktion
und De-Individualisierung unterzogen wurden, von dem sich vermuten
läßt, daß er ein preadaptive advance der modernen
Konstruktion sozialer Adressen ist. Diese Konzeption wird illustriert
durch eine kurze Prüfung der Konstruktion von Asozialität
oder asozialen Personen im Dritten Reich.
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