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Hefte
SozSys 11 (2005), H.1
Zusammenfassungen

 

Zusammenfassungen

Alexander Roesler/Bernd Stiegler
»Die Endform der Vorläufigkeit«
Ansichten aus der Praxis der Theorie

Dieser Beitrag ist weniger eine systematische Analyse oder Reflexion über die Veränderungen des wissenschaftlichen Publizierens als vielmehr eine Art ABC der publizistischen Praxis der Theorie. In insgesamt 12 kurzen Texten, die zudem eine interne Verweisungsstruktur haben, ist jeweils eine Beobachtung Niklas Luhmanns Anlass, um einen bestimmten Bereich des Publizierens in den Blick zu nehmen. Der Bogen, den dieses kleine Lexikon spannt, reicht dabei von »Absagen/Zusagen « über »Herstellung« bis hin zu »Programm« und »Sekundärliteratur«.

This article is not so much a detailed and systematic description or analysis of the changes taking place in academic publishing but rather a short encyclopaedia of its everyday practice. This dictionary consists of 12 – interrelated – entries, each of which begins by quoting a statement by Niklas Luhmann in order to focus on a specific aspect in the field of publishing, such as »turning down/accepting manuscripts«, »production«, »publishing strategies« or »secondary literature«.

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Wulf D. v. Lucius
Strukturwandel im wissenschaftlichen Verlag

Der Beitrag schildert die tiefgreifenden Veränderungen, denen wissenschaftliche Verlage (in Deutschland) in den letzten Jahrzehnten unterworfen waren: technische (bis hin zum digitalen Publizieren), wettbewerbliche (insbesondere durch die stetig voranschreitende Konzentration), vom Markt her kommende wie insbesondere das Vordringen der englischen Sprache und die daraus erfolgende Internationalisierung. Parallel einher geht das schrittweise Verschwinden des Inhaber-Verlegers zugunsten managergeführter Verlage. Letztere werden oft professioneller geführt aufgrund der Teamarbeit von Spezialisten anstelle eines Generalisten, der der traditionelle Verleger gewesen ist. Einher mit dieser Verschiebung auf der Führungsebene geht ein kurzatmigeres, konsequent gewinnorientiertes Verhalten dieser Verlage, während der Inhaber-Verleger in viel längeren Zeitdimensionen denkt und handelt und es in seiner eigenen Verantwortung liegt, wie stark er meta-ökonomische Zielsetzungen zulässt.

The paper describes the far-reaching changes with which scientific publishers (in Germany) have been confronted in the last decades. These changes have been driven partly by technical innovations (including the advent of digital publishing), partly by the markets (e.g. the steady concentration tendency) and partly by internationalisation with the predominance of the English language. Parallel with these developments the classical owner-publisher is gradually disappearing; managing teams of specialists with high professional skills are responsible for the companies and are replacing the traditional »accomplished generalist« (Gordon Graham). Thus the decisions in modern publishing houses are made under a much shorter time horizon and are more strongly profit-oriented whereas the owner publisher was used to think in longer times-frames and was free to decide on his own how to evaluate meta-economic targets.

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Stefan Hirschauer
Publizierte Fachurteile. Lektüre und Bewertungspraxis im Peer Review

Der Aufsatz untersucht einen Ausschnitt der informellen fachlichen Kommunikation unterhalb der Publikationsschwelle. Er fragt, welche Sozialität in einem Fachurteil steckt. Zwei Komplexe lassen sich identifizieren. 1. In einem Urteil überschneiden sich drei soziale Kreise: Neben der Bindung an ihre intellektuellen Herkunftsmilieus, die Lesern eine gewisse Voreinstellung gegenüber allen Texten gibt, findet sich zum einen ein in der lesenden Auseinandersetzung mit dem Text entwickelter Eindruck von diesem, zum anderen eine posthoc gesprochene, rationalisierende Stellungnahme gegenüber einer Gremienöffentlichkeit. 2. Diese mehrstufigen Urteile über wissenschaftliche Güte werden im Peer Review nun vervielfältigt, so dass sie sich in ihrer eigenen Güte laufend selbst beobachten. Manuskripte werden entschieden, indem über die Urteile aller Beteiligten entschieden wird: das des Autors über Geltungsanspruch und Entwicklungsstand seines Textes; das von Gutachtern und Herausgebern über die Kompetenz ihres eigenen Urteils, und das über die Beurteilungspositionen der jeweils anderen Gutachter und Mitherausgeber. Der ›Review‹ liegt nicht primär in einer asymmetrischen Prüfungsbeziehung, in der ein Leser auf einen Text ›schaut‹, sondern in einer wechselseitigen Beobachtungen von Urteilen, die in Ergänzung und Konkurrenz zueinander treten und sich wechselseitig kontrollieren. Im Peer Review werden Urteile beurteilt und publik gemacht.

The article investigates an aspect of informal communication in journal peer review. It asks which social relations build up experts' judgements. There are two issues: 1. In a scientific judgement there is an intersection of three social circles: a) the reader holds an attitude towards all kinds of texts depending on his/her membership in an intellectual milieu; b) there is an impression gained in the reading process, i.e. through a virtual »interaction with the author«; c) the reader gives a rationalizing statement on a manuscript adressing the peers of a committee. 2. These judgements on scientific quality are multiplied in peer review so that they control themselves in their own quality. A manuscript's publication is decided by deciding about the quality of these judgements. So the »review« of a peer review does not consist of an asymmetric »examination« of a text, but in the mutual observation of expert judgements, complementing and controlling, supervising and competing with each other. In peer review judgements are judged and made public.

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Elmar J. Koenen
Über die fast leere Mitte der Disziplin. SoziologInnen über Funktionen und Eigenwerte sozialwissenschaftlicher Zeitschriften

In den letzten Jahren haben SoziologInnen aus Lehre und Forschung sich aus unterschiedlichen Anlässen und Perspektiven zum Thema ›Sozialwissenschaftliche Fachzeitschriften‹ geäußert.Wie selbstverständlich behandeln sie diese als das kommunikative Zentrum ihrer Disziplin, obwohl eine entsprechende Kommunikation praktisch kaum stattfindet: die ›großen Namen‹ der Disziplin treten in den Zeitschriften als AutorInnen eher selten an, und Makrothemen wie Gender und Globalisierung fehlt heute offenbar die Kraft, die Fachkommunikation zu integrieren. Den InhaberInnen von festen Stellen mangelt es an Motiven, ihre Kompetenz zu demonstrieren und den LeserInnen an Zeit und Interesse, sich mit Fragen jenseits der eigenen Themen zu befassen. In der Konkurrenz mit den Netzmedien und durch die generelle Knappheit an finanziellen Mitteln scheint das kommunikative Zentrum der Sozialwissenschaften, ihre Fachzeitschriften, zunehmend unter Druck zu geraten. Ihre traditionelle Funktion, die Qualität von Kompetenzen und Texten zu prüfen und zu sichern, müsste vielleicht von anderen Medien und Institutionen übernommen werden.

Recently sociologists have commented on the topic »sociological journals« for various reasons and from various points of view.They treat these journals as the communicative centre of their discipline, although actually there is very little communication here: the wellknown names in the field do not show up as authors in these periodicals and issues such as gender studies and globalisation seem to be unable to initiate communication within the discipline. Those who have got tenure are not motivated to demonstrate their competence and the readers lack time and motivation to deal with topics beyond their own fields.With financial means generally being short and with the competition of the net media, the communicative centre of the discipline – their journals – seems to suffer increasingly. Their traditional function: to scrutinise and secure the quality of competences and texts may have to be performed by other media and institutions.

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Jo Reichertz
»Die Zeiten sind vorbei, in denen man nicht mehr laut sagen durfte, dass man besser ist als andere« – oder: Zur neuen Logik der (sozial-)wissenschaftlichen Mediennutzung

Wer heute Wissenschaft betreibt, muss seine Arbeit immer häufiger und immer öfter mit Hilfe der Medien vorstellen. Die Öffentlichkeit, mit der er dann kommuniziert, ist nicht mehr nur eine Fachöffentlichkeit, sondern immer öfter muss er auch den Erwartungen der Politik, der Medien und der Steuerzahler entsprechen. In Zeiten knapp bemessener Geldmittel werden öffentliche Präsenz und öffentliche Anerkennung bedeutender, da sie dem Aufbau von Reputation dienlich sein können. Deshalb kommt es nicht nur darauf an, viel in die Medien zu bringen, sondern dies auch verständlich und attraktiv zu tun. Honoriert werden dabei auch Persönlichkeit und Ausstrahlung. Der Artikel fragt auch nach den Folgen, die dieser Wandel für das berufliche Tun von Wissenschaftlern mit sich bringt.

Nowadays, scientists must present their work more often, and must do so more frequently with the help of the media. Not only do they have to communicate with experts in their field, they are also under increasing pressure to comply with the expectations of politicians, the media and the taxpayer. In times of financial hardship, a significant presence in public life and the public’s recognition become more vital, since both can be helpful in building a good reputation. It is therefore not only the volume of works published that is important, but also the attractiveness and comprehensibility of the works. Having achieved this, the scientist’s personality and charisma can be held in higher public regard. The following article also casts into question the consequences, which come hand in hand with these changes, on the profession of scientists.

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Wolff-Michael Roth
Publish or Stay Behind and Perhaps Perish: Stability of Publication Practices in (Some) Social Sciences

Obwohl neue technische Entwicklungen das schnelle und hinsichtlich der Länge problemlose Veröffentlichen ermöglichen, werden elektronische Medien in manchen Wissenschaften nur langsam – wenn überhaupt – akzeptiert und benutzt. Auf der Grundlage eines kulturhistorischen Ansatzes der dritten Generation argumentiere ich, dass sich die Stabilität von Veröffentlichungspraktiken (in Nordamerika) aus der Rolle der Publikationen in der akademischen Laufbahn ergibt. Entscheidungen in so unterschiedlichen Zusammenhängen wie Dauereinstellung, Beförderung, Gehalt, Gehaltserhöhung, und Drittmittelerwerb hängen von der Veröffentlichungsliste ab, die als eine Form der Objektivierung der Leistung eines Individuums verstanden wird. Die Stabilität der Veröffentlichungspraktiken kann man daher als das Produkt von der hoch vernetzten Natur akademischer Praktiken und Tätigkeitssystemen und der dialektischen Natur der Wissenschaftsgemeinden (communities of practice) verstehen, die sich sowohl identisch reproduzieren (Stasis), als auch in neuen Formen produzieren. Dieses Phänomen kann man zum Teil verstehen als das Bedürfnis eines Akademikers (einer Akademikerin), zur Erhaltung der Wissensgemeinde durch Dienste beizutragen, die den Entscheidungen über Dauereinstellung, Beförderung, und Gehalt Rechnung tragen.

Although recent technological advances (e.g., electronic media) have made it possible to publish research rapidly and without concerns for limited page limitations, some disciplines are slow to adopt electronic publications if they adopt them at all. Taking the perspective of third-generation cultural-historical activity theory, I argue that the stability of publication practices arises from the role scholarship plays (in North America) in defining academic career trajectories. Decisions in areas as diverse as tenure and promotion, salary and salary progress, and research funding are based on an academic’s publication record, itself an objectification of an individual’s »productivity«. The stability of publication practices can therefore be understood as arising from the highly interconnected nature of practices (and activity systems) in the academy, and the dialectical nature of any communities of practice, which reproduces itself in (nearly) identical ways (stasis) as much as it produces itself in new forms. This phenomenon can be in part understood in terms of an academic’s need to contribute to the community of practice to be recognized for »service« during tenure, promotion, and salary decision-making processes.

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Maja Malik/Siegfried Weischenberg
Journalismus und Wissenschaft:
Gemeinsame Sinnhorizonte trotz funktionaler Autonomie?

Journalismus und Wissenschaft sind verschiedene Funktionssysteme, die eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen. Beide generieren Informationsangebote als Fremdbeobachtung, stützen sich in organisierten Handlungskontexten auf professionelle Methoden und orientieren sich vermeintlich an denselben Maßstäben (›Wahrheit‹, ›Objektivität‹). Am Beispiel ihrer Schnittstelle Wissenschaftsjournalismus wird jedoch deutlich, dass es sich dabei nur scheinbar um gemeinsame Sinnhorizonte handelt. Entscheidend sind die funktionalen Differenzen, welche sich anhand von ›Wahrheit‹ und ›Objektivität‹ sowie den Temporalstrukturen und den Themenrelevanzen beschreiben lassen. Im Fall des Wissenschaftsjournalismus führt die Unterstellung gleicher Beobachtungskriterien regelmäßig zu enttäuschten Erwartungen. Und das ist auch gut so. Denn nur durch funktionale Autonomie bleibt die jeweils spezifische Leistungsfähigkeit beider Systeme erhalten.

Journalism and science are two distinct and autonomous systems with a range of similarities: both offer information generated by means of external observation; both draw on organized operational contexts and professional practices and techniques, and both seemingly abide by the same rules (i.e. »truth« and »objectivity«). However, by looking at the field of scientific journalism – the area where both meet – it becomes evident that the apparent commonality of their purposes and goals is a mere ostensible one. In fact, crucial differences can be observed regard-ing their operational modes; particularly concerning the concepts of »truth« and »objectivity« as well as their temporal structures and thematic preferences. Consequently, if we assume that science journalism abides by the same principles, we will be disappointed. This, however, is good, because only by retaining their functional autonomy both systems can each maintain their specific efficiency.

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Elena Esposito
Die Darstellung der Wahrheit und ihre Probleme

Die moderne Wissenschaft zeigt ein Ungleichgewicht zwischen der Produktion von Wahrheiten, welche von den Theorien und Methoden des Systems streng geregelt wird, und der Darstellung dieser Wahrheiten, welche praktisch durch Wissenschaft unkontrolliert bleibt und externen Kriterien überlassen wird. Diese Lage ist besonders überraschend in Anbetracht der grundlegenden Rolle der Verbreitung der wissenschaftlichen Wahrheit durch Publikation gerade für die moderne, an die ständigen Produktion neues Wissens gebundene Wissenschaft. Für die Darstellung gelten Kriterien wie Reputation oder die Bedürfnisse formeller Organisationen, die nur dann wirksam funktionieren können, wenn sie unabhängig von den Kriterien der Wahrheit sind. In dieser Hinsicht scheint die aktuelle Soziologie nicht so sehr unter fehlender Koordination mit den Massenmedien oder den formellen Organisationen zu leiden, sondern eher unter dem Fehlen einer ausreichend scharfen und eindeutigen Trennung, um den Kriterien beider Systeme Geltung zu verschaffen.

Modern science shows a lack of balance between the production of truths, which is strictly ruled by theories and methods inside the system, and the presentation of these truths, which is left practically without control by science but is entrusted to external criteria. This condition is particularly surprising considering the fundamental importance of the spread of truth via publication, especially for modern science which is bound to the constant production of new knowledge. In the presentation of new knowledge, criteria like reputation or the requirements of organisations count, which must be independent from the criteria of truth in order to work effectively. In this view the current situation of sociology seems to be characterized not so much by a lack of coordination with the mass media or formal organizations, but rather by a lack of a sufficiently sharp and univocal separation to enable the criteria of each system to work efficiently.

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Giancarlo Corsi
Medienkonflikt in der modernen Wissenschaft?

Beobachtet man die Selektionsverfahren von wissenschaftlichen Zeitschriften und Verlagen, gewinnt man den Eindruck einer Diktatur der Massenmedien (hier vor allem der Publikationen) über die eigentliche wissenschaftliche Funktion, neues Wissen herzustellen. Das ist durch das bekannte Syndrom »publish or perish« bekannt und wird oft als riskante Alternative gesehen: entweder Karriere durch Standardforschung oder Grenzforschung mit unsicheren Perspektiven. Heutzutage hängen tatsächlich die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien von den Verbreitungsmedien ab. Aber das Problem scheint eher das Verhältnis von Evolution der Wissenschaft und Planung der organisatorischen Variablen (Reputation, Finanzierung, Projekte, akademische Spaltungen usw.) zu betreffen, die die moderne Wissenschaft ermöglichen. Während Evolution nicht kontrolliert werden kann, sind diese Variablen die einzigen, die entscheidbar sind und transparent gemacht werden können.

If you observe how scientific journals and publishers select what can be printed, you get the impression these is a dictatorship of mass media over the proper function of science, i.e. the production of new knowledge. This is known as the syndrome »publish or perish«. It is often taken for granted that there is a risky alternative: career through standard research or border research with uncertain prospects. There is no doubt that today symbolically generalized media depend on diffusion media such as the print media, but the problem seems to concern rather the relationship between the evolution of science and the planning of organizational variables, such as reputation, financing, projects, academical divisions etc., which make modern science possible. While evolution cannot be controlled, those variables are the only ones which can be decided and somehow made transparent.

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