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Hefte
SozSys 18 (2012)
Zusammenfassungen

 

Zusammenfassungen

Bettina Heintz
Welterzeugung durch Zahlen. Modelle politischer Differenzierung in internationalen Statistiken, 1949-2010

Der Aufsatz interpretiert Statistiken als numerische »Weisen der Welterzeugung«. Er untersucht, auf welche Weise Statistiken die Welt darstellen und sie gleichzeitig als übergeordnetes Ganzes – als »(Welt)Gesellschaft« – erfahrbar machen. Indem Statistiken heterogene und weltweit verstreute Ereignisse auf einige wenige Vergleichsdimensionen reduzieren, erzeugen sie einen Vergleichszusammenhang, der unter Umständen globale Reichweite hat. Am Beispiel der UN-Bevölkerungsstatistik von 1949 bis heute wird gezeigt, wie sich der statistische Blick auf die Welt in den letzten sechzig Jahren verändert hat und was sich soziologisch daraus lernen lässt. In einem ersten Abschnitt wird das soziologische Konzept des Vergleichs eingeführt und auf Globalisierungsprozesse bezogen. Der zweite Abschnitt befasst sich mit Statistiken als einer besonderen Form numerischer Vergleiche. Der Schwerpunkt liegt auf der Institutionalisierung der nationalen Statistik im 19. Jahrhundert und ihren Folgen für die ›Entdeckung‹ der Gesellschaft in der Soziologie. Der dritte Abschnitt bildet das Kernstück des Aufsatzes. Am Beispiel des Wandels des Klassifikationssystems der UN-Bevölkerungsstatistik von 1949 bis heute wird dargestellt, wie die globale Ordnung in diesem Zeitraum beobachtet und beschrieben wurde. Die Ergebnisse dieser Analyse weisen darauf hin, dass bis in die späten 1960er Jahre die imperiale Ordnung und nicht die segmentäre Differenzierung in formal gleichberechtigte Nationalstaaten als Normalfall betrachtet wurde. Erst 1970 wird der Nationalstaat in der statistischen Beobachtung zu einer globalen Kategorie. Der Aufsatz nimmt dieses Ergebnis zum Anlass, die systemtheoretische »Primatsthese« auf der Basis der neueren Imperiumsgeschichte einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. In einem vierten und letzten Abschnitt wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Statistik und Gesellschaftsbegriff noch einmal aufgegriffen und auf globale Zusammenhänge bezogen: Lässt sich analog zur nationalen Statistik auch von einer »Geburt der Weltgesellschaft aus dem Geist der internationalen Statistik« sprechen?

Bettina Heintz,
World making by numbers. Models of political differentiation in international statistics, 1949-2010

The article conceives of international statistics as numerical “ways of worldmaking”. Statistics have the capacity to represent the world and to make it at the same time visible and intelligible. By reducing heterogeneous and dispersed entities to a few comparative criteria they create a comparative order which is potentially global in scope. With the example of the population statistics in the United Nations Statistical Yearbook between 1949 and 2011, the article shows how the statistical view of the world has changed over time and what sociological lessons can be drawn from this change. I start with a short discussion of the concept of comparison and its significance for globalization processes. The second part focuses on the emergence of statistical thinking in the 19th century and argues that there is a close link between the institutionalization of statistics and the discovery of “society” as the foundational category of sociology. In the empirical part I reconstruct the change of the territorial classification system and show how the global order has been statistically observed in the last sixty years. The results indicate that in the first two decades the world was not primarily seen as differentiated in formally equal nation-states but rather as a still imperial order divided in empires and dependencies. It was only in the 1970s that the nation-state became a universal model for observing the world. This is the starting point for a critical discussion of world society theories, and particularly of the system-theoretical thesis of a co-evolution of world society and functional differentiation. Referring to the link between the emergence of official statistics and the sociological concept of “society” in the 19th century, I conclude by asking whether there is a similar connection between the institutionalization of international statistics and the concept of world society.

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Cornelia Bohn
Bildlichkeit und Sozialität. Welterzeugung mit visuellen Formen

Die Studie identifiziert in den soziologischen Sozialitätstheorien eine fraktale Distinktion: Auf der eine Seite der Unterscheidung stehen optisch-visuell geführte Sozialtheorien und Forschungsprogramme (Simmel, Goffman, neuere interaktionistische Forschungen), die andere Seite fokussiert auf Sprache (Mead, Luhmann). Der Beitrag plädiert für eine Resymmetrisierung von Bildlichkeit und Sprachlichkeit im Aufbau soziologischer Theoriebildung. Er widmet sich dem Problem der Konstruktion der Bildlichkeit als soziales Faktum, dessen welterzeugendes Potenzial – so die These – sich im rekursiven Gebrauch visueller Formen erschließt. Es wird eine Sichtung von Theoriebeständen und interdisziplinären Forschungsresultaten vorgenommen. Die daraus resultierenden Vorschläge lauten erstens – mit Rekurs auf Medientheorien (die Überbrückung der Alter-Ego-Divergenz und die Medium-Form-Theorie) – Bildlichkeit als eine Form im Medium der Visualität aufzufassen. Bildlichkeit und Sprachlichkeit werden dabei weder als durcheinander ersetzbare noch als völlig autonome Modi verstanden. Zweitens kann Bildlichkeit – mit Rekurs auf und in Modifikation von Husserls Überlegungen zum »Bildbewußtseins« – als eine dreistellige, artefaktabhängige, vom Wahrnehmungsmodus unterschiedene genuin soziale Sinnform analysiert werden; drittens werden Verweislogiken immanenter und instruktiver Bildlichkeit unterschieden. Die Studie schließt mit Beispielen instruktiver Bildlichkeit aus Neuroradiologie und Ökonomie.

Cornelia Bohn,
Iconicity and sociality. World-making through visual forms

The article points to a fractal distinction in sociological theories of sociality, with visually based theories and research agendas on the one hand (Simmel, Goffman, more recent interactionist approaches) and theories focusing on speech and language on the other (Mead, Luhmann). The article pleads for re-symmetrizing iconicity and linguality in the composition of social theories. It is dedicated to the problem of constructing iconicity as a social fact with its world-making potential lying, as is argued, in the recursive use of visual forms. In this vein, theories are discussed from the perspective of interdisciplinary findings, from which three propositions are derived: First, in reference to a system-theoretical approach to media (bridging an alter-ego-divergence, medium/form-theory), the article suggests conceiving of iconicity as a form in the medium of visuality. Here, iconicity and linguality are neither understood as mutually substitutable nor as entirely self-sufficient. Second, building on Husserl’s considerations on image consciousness (»Bildbewusstsein«), it is argued that iconicity can be analyzed as a tripartite form of meaning dependent on artefacts and distinct from the mode of mere perception. Third, logics of reference regarding immanent and instructive iconicity are distinguished and delineated. The article concludes with examples of instructive iconicity from neuroradiology and economics.

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Arno Schubbach
Das Bilden der Bilder. Zur Theorie der Welterzeugung und ihrer bildtheoretischen Verpflichtung

Der wechselseitige Zusammenhang zwischen der Theoriebildung der Welterzeugung auf der einen und Zeichen- sowie Bildbegriffen auf der anderen Seite steht im Zentrum des vorliegenden Beitrags. Die Konzeption der Welterzeugung ist seit Wilhelm von Humboldt und insbesondere bei Nelson Goodman vorrangig an Sprache und Zeichen orientiert, die von ihren materialisierten Vollzügen oder auf Dauer gestellten schriftlichen Aufzeichnungen entkoppelt werden. Sie werden so auf den Spuren der transzendentalphilosophischen Tradition als autonome Strukturen begriffen, die unserer Erfahrung zugrunde liegen und der Welt vorgeordnet sind. Bilder werden dagegen meist dezidiert als Artefakte verstanden, deren Bedeutung und Erfahrung nicht von der Materialität ihrer Träger losgelöst werden können. Daher erfordert die Welterzeugung durch Bilder eine eigenständige Theoriebildung. Sie ordnet die Bilder und ihr Bilden der Welt unserer Erfahrung nicht vor, wie es in erster Linie Fichte, aber auch Cassirer ausgehend von Kants Konzeption der Einbildungskraft anstrebten. Sie versteht die Welterzeugung durch Bilder als lokalisierte und damit verteilte Prozesse in einer Welt, an deren Erzeugung sie nur insoweit Anteil haben können, als sie selbst materieller Teil derselben sind. Diese alternative Konzeption der Welterzeugung wird anhand der Studien des Kunstwissenschaftlers Aby Warburg und des Wissenschaftsforschers Bruno Latour ausgeführt.

Arno Schubbach,
Pictures and Picturing. The Theory of World Making and its Interdependence with the Theory of Images

The following contribution focuses on the reciprocal relationship between theories of world making on the one hand and notions of signs and images on the other. Since the time of Wilhelm von Humboldt and particularly in the texts of Nelson Goodman, the conception of world making is primarily based on a theory of language or signs dissociating them from the fact that they are materially performed or written down. Following the tradition of transcendental philosophy, language as well as signs are understood as autonomous structures upon which our experience is founded and which are therefore prior to the world. In contrast, pictures are mostly and essentially conceived as artifacts whose meaning and experience cannot be separated from the materiality of their support. Consequently the theory of world making through images merits a proper theoretical construction. Pictures and their depiction of the world are not prior to our experience, as Fichte first and foremost but also Cassirer argued in the tradition of Kant’s conception of imagination. World making through pictures has to be conceived of as a local and distributed process within the world, which they “make” only insofar as they are already part of this same world. This alternate conception of world making will be unfolded using the studies of art historian Aby Warburg and the historian of science Bruno Latour.

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Thomas Khurana
Idee der Welt. Zum Verhältnis von Welt und Bild nach Kant

Der Begriff der ›Welt‹ hat, wenn wir darunter das »Ganze aller Erscheinungen« verstehen, nicht den Status eines Begriffs, dem ein Gegenstand der sinnlichen Anschauung korrespondieren könnte. Er fungiert vielmehr als transzendentale Idee. Eine solche Idee, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft als notwendig für die Vereinigung unserer Erfahrung bestimmt, lässt sich »niemals im Bilde entwerfen« und bleibt »ein Problem ohne alle Auflösung«. Die Antinomien der reinen Vernunft entspringen für Kant gerade daraus, dass man Ideen dieser Art als Begriffe von gegebenen Gegenständen missdeutet. Dass Welt sich gegen eine derartige Vergegenständlichung sperrt, bedeutet jedoch nicht, dass sie überhaupt nicht im Medium der Anschauung zur Darstellung käme. Der Beitrag geht anhand von Kants Kritik der Urteilskraft der Weise nach, wie die Idee der Welt auf Anschauung und Einbildungskraft bezogen ist und wie Welt im Medium anschaulicher Darstellung zur Artikulation und Reflexion kommt.

Thomas Khurana,
The Idea of a World: Kant and the Relation of World and Image

If we conceive the world as the »whole of appearances«, this is not the kind of concept to which an object of sensible intuition could correspond; rather it exhibits the form of a transcendental idea. As Kant employed it in the Critique of Pure Reason, such an idea is necessary for the unity of our experience; yet a transcendental idea  »can never be projected in an image« and »remains a problem without any solution«. For Kant, the antinomies of pure reason spring from the fact that we mistake such ideas as concepts for given objects. The fact that the concept of »world« resists this kind of reification does not, however, entail that the world is not presented in the medium of intuition at all. Focusing on Kant’s Critique of Judgment, the second half of the paper investigates the complex relation of the idea of »world« to intuition and imagination, and the ways in which this idea is articulated and reflected in the medium of intuitive presentation. 

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Martin Petzke
Visualisierung und Differenzierung. Zur wahlverwandtschaftlichen Beziehung bildlichen Eigensinns und der Konstitution eigenlogischer Sinnsysteme am Beispiel der Religion

Der Beitrag geht dem wechselseitigen Adäquanzverhältnis des Eigensinns bildlicher Darstellungen und der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme nach. Hierfür wird am Beispiel Georg Simmels und Niklas Luhmanns eine differenzierungstheoretische Tradition rekonstruiert, die auf die Heraussonderung spezifischen Sinns abstellt. Es wird gezeigt, wie eine derart verstandene Differenzierung in ihren entscheidenden Attributen – i.e. der Homogenisierung von Sinn, der Konstruktion einer sachspezifischen ›Welt‹ sowie der besonderen Anschlusslogik – mit den bildlichen Potenzialen der Kombination von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, der Synoptizität und der visuellen Rhetorizität im Einklang steht. Die konstitutive Rolle, die Bilder aufgrund dieser Wahlverwandtschaft für Differenzierungsphänomene einnehmen, wird am Beispiel der Religion illustriert. Hier sind es religionsbezogene Kartographien, die zunächst im 17. Jahrhundert einen Diskurs globaler Religionsvergleiche flankieren und dann im Zuge der neu in Gang kommenden Mission des 19. Jahrhunderts katalytisch auf einen Sinnzusammenhang einwirken, in deren Zentrum die christliche Bekehrung einer Weltpopulation steht. Diese Sinnsphäre wird heute durch das evangelikale Christentum getragen, das solche Karten mit den technischen Potenzialen des Internets aufrüstet.

Martin Petzke,
Visualization and Differentiation. On the Elective Affinity between Pictorial Meaning and the Autonomization of Meaning Systems. An Example from Religion

The article explores an elective affinity between pictorial meaning and the autonomization of societal subsystems. Adopting a paradigm of differentiation theory that is here exemplified by the work of Georg Simmel and Niklas Luhmann, it is argued that the emergence of a particular sphere of meaning – with its attributes of homogeneous meaning, the construction of a specific ›world‹, and a particular ›rationality‹ of communication and action – is consonant with characteristic potentials of images: i. e. simultaneity of visibility and invisibility, synopticity, and visual rhetoricity. The constitutive function of images in processes of differentiation is illustrated by an example from religion. Here, global cartographies of religion, first emerging within a 17th century discourse of religious comparisons and gaining new importance within 19th century Christian missions, contribute significantly to the formation of a realm of meaning that, in the 19th century, focusses on the conversion of the world’s population to Christianity. This particular sphere of meaning is today primarily cultivated by evangelical Christianity and enhanced by the technological possibilities of the internet.

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Sybille Krämer
Karten erzeugen doch Welten, oder?

Dass Karten ihr Territorium abbilden oder diesem gar ähnlich sind, ist ein theoretisches Tabu geworden für kulturkritische und konstruktivistisch orientierte Positionen; die Leitidee ist dabei: Karten erzeugen, was sie zeigen. Der Aufsatz setzt sich mit dieser Diskreditierung von Abbildung und Ähnlichkeit kritisch auseinander, indem er ein grundlegendes Wechselverhältnis zwischen Erzeugung und Abbildung diagnostiziert. Der Zweck des Kartengebrauchs besteht darin, ein fremdes Terrain für einen Kartennutzer in einen zugänglichen Bewegungsraum zu verwandeln und zwar mithilfe der indexikalischen Verortung der Nutzerin in der Karte. Solche kartographische Operation gelingt nur, wenn eine strukturbewahrende Abbildung mit Hilfe einer Projektionsmethode sowie die freie Erfindung von Hilfslinien wie Längen- und Breitengrade, miteinander interagieren. Abbildung und Erzeugung schließen sich bei Karten also nicht aus, sondern schließen sich ein. Dieser kartographische Impuls, der darin besteht mithilfe der Karte ein unbekanntes Terrain für einen Akteur in einen Handlungsraum zu verwandeln, kann auch auf den Umgang mit Wissen übertragen werden: Was die Karte für das alltägliche räumliche Orientierungsverhalten, das ist dann das Diagramm für das Orientieren auf Wissensfeldern. Was das bedeutet wird an historischen Beispielen erläutert: den Weltkarten von Klaudius Ptolemaios und Gerhard Mercator, aber auch anhand der graphischen Aufzeichnung des philosophischen Weltenaufbaus in Platons Liniengleichnis.

Sybille Krämer,
Maps do indeed produce world, don’t they?

The idea that maps represent their territory or that they are even similar to it, has become a theoretical tabu for culture-critical and constructivist positions; the main idea hereby is: maps create what they present. This essay critically deals about this devaluation of mapping and similarity, by diagnosing a necessary relationship between production and representation, generation and mapping. The goal of using maps is to convert an unknown terrain into an accessible and familiar space of motion and action by using the indexical positioning inside the map itself. Yet such a cartographical operation does only work, if there is an interplay between a structure preserving projection on the one side and the creative invention of artificial reference lines as longitude or latitude on the other. Concerning maps: projection and production do not exclude but include each other. This ‘cartographic impulse’, consisting in the transformation of an unknown terrain into a space of operation for an agent, can be transferred into our knowledge-practices: What is the original goal of maps for spatial orientation, is fulfilled and realized by diagrams regarding the orientation in spaces of knowledge. This is illustrated by historical examples, taken from Antiquity and Modernity: The world maps of Klaudius Ptolemaios’ and Gerhard Mercator, but also by means of graphical notes (mapping) of the structure of the philosophical universe in Plato´s simile of the divided line.

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Tobias Werron
Wie ist globale Konkurrenz möglich? Zur sozialen Konstruktion globaler Konkurrenz am Beispiel des Human Development Index

Angesichts zahlreicher internationaler ›Rankings‹ und ›Ratings‹ intensiviert sich der Streit um die Vor- und Nachteile globaler Konkurrenzen aller Art. Der Aufsatz geht von der Diagnose aus, dass die Soziologie auf diese Debatte nicht gut vorbereitet ist, weil Standardbegriffe der Konkurrenz zu alltagsnah gebaut sind und daher den spezifischen Entstehungsvoraussetzungen globaler Konkurrenzen nicht gerecht werden. Um diese Lücke zu schließen, entwickelt er (1) ein an Georg Simmel angelehntes kommunikationstheoretisches Modell globaler Konkurrenz, welches die Globalität von Konkurrenzen nicht primär an die globale Inklusion der Konkurrenten, sondern an die Vorstellung globaler Publika und entsprechender ›weicher‹ globaler Güter wie Aufmerksamkeit, Legitimität und Prestige knüpft. Dieses Modell impliziert die These, dass öffentliche Vergleichsschemata wie Rankings globale Konkurrenz nicht nur symbolisieren, sondern ermöglichen und produzieren, indem sie solche ›weichen‹ globalen Güter konstruieren und verknappen (›artifizielle Nullsummenspiele‹). Diese These wird (2) an einer spezifischen Form globaler Konkurrenz, der Konkurrenz zwischen Nationalstaaten um Modernitätsprestige, illustriert sowie an Internetdarstellungen eines Rankings, des ›Human Development Index‹ (HDI) der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen, überprüft. Die Analyse des HDI zeigt exemplarisch, wie Rankings zur Konstruktion globaler Konkurrenz um Modernitätsprestige beitragen: Indem sie unbeschränkte Erweiterbarkeit der Zahl der Vergleichsobjekte, unbeschränkte quantitative Differenzierung von Leistungsniveaus und visuelle Vergleichssuggestionen (Tabellen, Karten, andere Graphiken) miteinander kombinieren, können sie Prestigegewinne eines Ranglistenteilnehmers immer zugleich als Verlust eines anderen erscheinen lassen – also als knappes Gut, um das konkurriert werden kann.

Tobias Werron,
How is global competition possible? On the social construction of global competition using the example of the Human Development Index

The article argues that standard sociological concepts of competition tend to stick to an everyday understanding that does not do justice to the complexities of global forms of competition. To conceptualize such forms, it (1) develops a model of global competition that builds on Georg Simmel’s concept of competition (indirect struggle for the favor of a third party) and defines the globality of competition as a product of the imagination of global audiences/publics in public communication processes. This model implies that public comparative schemes such as rankings not only symbolize but produce global forms competition by constructing competition for ‘soft’ global goods such as attention, legitimacy and prestige (‘articifical zero-sum games’). (2) In the second part of the article, this model is tested using the case of the Human Development Index (HDI). Here, it is shown how rankings contribute to the social construction of global competition by combining unlimited inclusion of participants, quantitative differentiation of performance levels and visualization of comparison in such a way that any gain in prestige of one participant appears as a loss of prestige by another participant – that is, as a scarce good that can be competed for.

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Theodore M. Porter
Irrenärzte aller Länder! Tabular Unity and the Nineteenth-Century Struggle to Comprehend Insanity

Die Anstaltsmedizin, das erste medizinische Fachgebiet, war wahrscheinlich auch der Bereich der Medizin, der als erster statistisch erfasst wurde. Bereits im frühen 19. Jahrhundert nutzen Irrenärzte Statistiken, die hohe Heilungsraten auswiesen, um für ihre Anstalten zu werben. Als sich jedoch die Institutionen füllten und die Heilungsraten nach unten gingen, wurden, vor allem von Frankreich ausgehend, Versuche zur internationalen Harmonisierung der Statistiken unternommen, die den Zusammenhang zwischen zivilisatorischem Fortschritt und Geisteskrankheit erhellen und aufzeigen sollten, welche Anstalten über erfolgreiche Behandlungsmethoden verfügten. Im späten 19. Jahrhundert wurde jedoch deutlich, dass das internationale Standardisierungsprojekt aufgrund unterschiedlicher rechtlicher und administrativer Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern fehlgeschlagen war. Ambivalente Kategorien in den Statistiken hatten auch dazu geführt, dass findige Anstaltsdirektoren die Statistiken ihrer Institutionen zugunsten vorteilhafter Heilungsraten manipuliert hatten. Das Scheitern und der gelegentliche Wahnsinn von globalisierten Statistiken sind nicht spezifisch für Geisteskrankheit und können zumeist nicht auf Fehler zurückgeführt werden, die durch mangelnde individuelle Rationalität begründet sind. Die negativen Erfahrungen mit internationaler Standardisierung im Kontext der Anstaltsstatistiken lassen sich vielmehr auch auf andere Bereiche übertragen, im Speziellen auf die Metriken und Indikatoren, die mit den neoliberalen Regimes zur Wende des 21. Jahrhunderts Verbreitung gefunden haben.

Theodore M. Porter ,
‘Irrenärzte aller Länder!‘ Tabular Unity and the Nineteenth-Century Struggle to Comprehend Insanity

Asylum medicine, the first medical specialty, was also perhaps the most thoroughly statistical area of medicine. Early in the nineteenth century, alienists made the case for their institutions with table advertising their high cure rates. Yet as the institutions filled up and cure rates went down, they began working to harmonize the statistics in order to determine whether insanity was really increasing with the progress of civilization, and which institutions were most successful at treating it. By the late nineteenth century, it seemed that the standardization project had foundered, partly because the institutions operated under different legal and administrative regimes, and partly because of ambiguities in the categories, which resourceful directors were almost compelled to exploit to put their institutions in the best possible light. The failures, and sometimes the craziness, of globalized statistics are not specific to insanity, and are generally not failures of individual rationality. The experience of asylum statistics has pertinence for other domains, and especially for the metrics and indicators that have proliferated under neoliberal economic regimes at the turn of the twenty-first century.

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Leon Wansleben
Heterarchien, Codes und Kalküle. Beitrag zu einer Soziologie des algo trading

Der Einsatz von algorithmischen Handelssystemen hat sich innerhalb kurzer Zeit unter Teilnehmern auf Finanzmärkten verbreitet. Bisher haben Soziologen vor allem die Automatisierungen der Börsenplätze untersucht, durch die algo trading überhaupt erst möglich wurde. Wie sich die Praxis und Organisation des Finanzhandels selbst verändert hat, wurde allerdings kaum erforscht. In diesem Beitrag sollen Heuristiken für entsprechende Forschungen entwickelt werden. Auf Grundlage erster empirischer Daten wird argumentiert, dass algo trading eine grundlegende Rekonfiguration der Praxis des Finanzhandels impliziert: Während im traditionellen Handel Händler die Kernaktivitäten (Formierung von views, Positionsmanagement) monopolisieren konnten, wird algo trading in viel stärkerem Maße auf unterschiedliche Gruppen (Entwickler, Informatiker, Händler) verteilt. Diese Gruppen entwickeln mit je eigenen Codes eigene professionelle Perspektiven auf Algorithmen. Nicht nur die technische Operationalisierung, sondern auch die ökonomischen Kalküle des Finanzhandels haben sich verändert: algo-trading-Firmen treffen bereits mit der Selektion und Kombination von Personal und Technologien folgenreiche Entscheidungen; auch firmenintern verändert sich die Zurechnung von Leistungen und Risikoverantwortungen. Als wesentlicher zukünftiger Forschungsbedarf wird die Analyse der Mobilität von Personen, Teams und Codes innerhalb organisationaler Felder identifiziert.

Leo Wansleben,
Heterarchies, Codes, and Calculi. Contribution to a sociology of algo trading

Within short spell, the use of algorithmic trading systems has spread across participants in financial markets. Hitherto, sociologists have mainly investigated the automation of stock exchanges, whereby algo trading becomes possible. However, changes in the organization of financial trading, caused by the use of algorithms, have hardly been researched. In this article, heuristics for the study of algo trading are developed. On the basis of first empirical data, it is argued that algo trading coincides with a fundamental reconfiguration of the practice of financial trading: While in traditional trading, traders could monopolize the core activities (formulating views, position management), algo trading is, to a much higher degree, distributed among different groups (systems developer, computer engineers, traders). These groups employ distinct codes in order to develop different professional vistas on trading algorithms. Not just the technical operation, but also the economic rationales of financial trading have changed: The selection and combination of personnel and technologies already imply consequential decisions; algo trading also implies new forms of attributing performances and responsibilities among different teams. The article concludes by arguing that a relevant future area of research is to focus on the mobility of people, teams and codes in organizational fields.

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Daniel Šuber
Von Fäusten und Fingern, Visuelle politische Kommunikation im gegenwärtigen Serbien

Der Beitrag verknüpft ein mediologisches Interesse an der politischen Funktion von Bildern mit der empirischen Beobachtung der nationalpolitischen Auseinandersetzungen im post-jugoslawischen Serbien. Die Kombination beider Fragekomplexe erscheint sozialwissenschaftlich interessant vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Ansicht, dass im serbischen Fall der politische Diskurs in einem vielleicht sogar einzigartigen Ausmaß durch ein spezifisches national-kulturelles Imaginarium imprägniert ist, das auf die legendäre Schlacht auf dem Amselfeld zurück verweist. Dieser Allgemeinbefund soll im Folgenden gerade nicht als Explanandum genommen werden, sondern als Explanans. Es werden kultur- und visualsoziologische Ansätze in Stellung gebracht, um die Ausgangshypothese mit einer empirischen Beobachtung der über Kollektivsymbole und visuelle Medien ausgetragenen politischen Kämpfe im gegenwärtigen Serbien zu kontrastieren. Zum Vorschein gelangen auf diese Weise überraschende Interferenzen zwischen verschiedenen Ebenen des politischen Diskurses und komplexe Interdynamiken zwischen Semantiken der Öffnung und Schließung.

Daniel Šuber,
Of fists and fingers: Visual politics in contemporary Serbia

The study is devoted to the exploration of the role of visual symbols and media in fostering a certain cultural and cognitive world-view. Drawing from a case study on the example of post-war Serbia, the widely spread assumption according to which Serbian politics and national consciousness have long been distorted by the clinging to an ethno-mythical narrative eventually referring back to the legendary battle of Kosovo is tested against an empirical observation of symbolic politics as conducted by various agents on the public realm. Employing analytical and descriptive tools borrowed from cultural sociology, systems theory, semiotics, and visual studies the focus will be laid on the complex dynamics and intersection between various wide-spread collective symbols, political icons and visual tropes. These observations deliver a more dynamic, empirically dense and sober image of the actual political process in Serbia and thus offer a counterpoint to the static and container-like model of Serbian politics as indicated above.

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Il-Tschung Lim
»Know your Money!« Falschgeldbeobachtung und visuelle Echtheitssicherung von Geld in der US-amerikanischen Ökonomie (18.-20. Jahrhundert)

Der Beitrag kombiniert Perspektiven der sozial- und kulturwissenschaftlichen Fälschungsforschung mit einem spezifischen Erkenntnisinteresse an der visuellen Kommunikationsstilistik in der Praxis der Geldfälschung, ihrer sozialen Funktion sowie den Strategien und Kulturtechniken ihrer Prävention. Der Fokus liegt dabei auf den spezifischen Bildoperationen in der Falschgeldbeobachtung des US-amerikanischen Falschgelddiskurses (18. bis 20. Jahrhundert). Die Falschgeldbeobachtung wird als spezifisch bildmediale Artikulation einer ›Vertrauensagentur‹ aufgefasst, die in potenziell kritischen Situationen eines normalerweise störungsfreien Normalfunktionierens symbolgestützter Operationen als Entstörungsprogramm an der (Wieder-)Herstellung der Integrität der kommunikativen Standards eines regelkonformen Symbolgebrauchs teilhat. Die These lautet, dass im Kontext des Falschgelddiskurses Beobachtungsoperationen intrinsisch Bildoperationen darstellen. Bildgestützte Kommunikationen und Visualisierungsformen in der Falschgeldbeobachtung sind als eigenständige Instanzen der sozialen Sinnproduktion zu betrachten, die an der Formierung der Sinngrenzen einer geldvermittelten Ökonomie konstitutiv partizipieren.

Il-Tschung Lim,
»Know your Money!« Counterfeit Detection and the Visual Authentication of Money in American Finance (18th-20th century)

Focusing on visual strategies in the detection practices of counterfeit banknotes from the early phase of paper money’s circulation in the U.S. economy onwards (18th to 20th century) the paper discusses the pivotal role counterfeit detection practices played to determine money’s value and function and, thus, to inspire confidence in the monetary symbol. The mass distribution of counterfeit money describes the critical articulation of an economic disturbance and brings into focus a problem of observability as well as the search for proper cultural and social strategies of its prevention. Arguing on how deeply the detection of counterfeit money depends on the ›visualization‹ of trust in critical moments of declining confidence in money, the general thesis of this paper is to claim that the observation and detection of forged money are intrinsically iconic operations. Images are considered to be indispensable structures in the production of a social horizon of meaning.

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Inge Hinterwaldner
Erlebnis-Raum in Der Garten und Heufieber

Zusammenfassung: Normalerweise erfolgt die Situierung des Betrachters zur gebotenen Bildwelt über die Perspektivierung, beispielsweise durch die Zentralperspektive, die dem Publikum einen bestimmten Blickpunkt zuweist. Mit zeitbasierten Arbeiten ist es hingegen möglich, entweder die Perspektivierung als eine dynamisierte zu exemplifizieren oder Veränderungen des Blickpunktes über die Art der gezeigten bildlich-motivischen Dynamik in der Rezeption zu provozieren. Der Beitrag zielt darauf ab, verschiedene Weisen der Verschränkung zwischen Perspektivierung und Bildzeitlichkeit zu thematisieren. Die künstlerische Animation Der Garten macht mit bildnerischen Mitteln erfahrbar, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der Umwelt letztere für die Tätigen je unterschiedliche Qualitäten annimmt. Zur Verdeutlichung wird der Darstellungsraum mit den Handlungen der Protagonistin korreliert und damit auch dynamisiert. Die zweite besprochene Arbeit, das Video Heufieber, funktioniert insofern analog, als dass das im ersten Beispiel gezeigte Motiv einer Weltgestaltung nun in die Rezeption verlagert ist und somit als Erfahrung nicht mehr für andere externalisiert wird. Der antizipierte aktive Betrachter moduliert seinen Raumeindruck aufgrund der gesammelten Erfahrungswerte angesichts von Abläufen. Um das komplexe Phänomen zu umkreisen, werden theoretische Positionen aus unterschiedlichsten Gebieten herangezogen: Über die Beobachtung (zweiter Ordnung) und Niklas Luhmann lässt sich Handeln und Betrachten verschränken, mit Henri Bergson wird die qualitative Auffassung von Raum denkbar und schließlich bietet Ludwig Wittgenstein neben der Gestaltpsychologie über den Aspektwechsel ein theoretisches Instrumentarium, um die festgestellten Bildraumumschwünge in Heufieber zu charakterisieren.

Inge Hinterwaldner,
Sensual Experience in ’The Garden’ and ‘Heufieber’

Normally, the beholder is situated toward the presented image world by way of perspectivation. Within a linear perspective for example, the audience is assigned a certain point of view. However, in time-based works it is possible either to exemplify the perspectivation as a dynamised one, or to effect changes of the point of view in the reception with the manner of how the visual-motivic dynamic is shown. The contribution targets the discussion of various modes of interlacing perspectivation and temporality in visual images. The artistic animation The Garden is visually designed in a way to make perceivable that an intense engagement with the environment makes it appear to have adopted different qualities for the person actively involved. To illustrate this impression the space of depiction is correlated with the actions of the protagonist, and thus it is made dynamic. The video Heufieber, the second piece discussed, functions analogously insofar as the experience of personal world design that the former example shows as a motif is now shifted to the reception. Consequently, this experience is not externalised for others any more. The anticipated active beholder modulates her spatial impression according to her everyday experiences of events. In order to conceptualise this complex phenomenon, various theoretical positions from different areas are taken into consideration: With the (second order) observation and Niklas Luhmann it is possible to interlace action and viewing; with Henri Bergson we get hints of how space can be described qualitatively; and finally, besides gestalt psychology, with his expression of change of aspect, Ludwig Wittgenstein offers us a theoretical instrument to characterise the turnabouts in the image space manifest in Heufieber.

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Ralf Konersmann
Welterzeugung durch Kulturmetaphern

Am Beispiel des Kulturbegriffs und seiner Genese lässt sich zeigen, wie bildhafte Vorstellungen dem Begriffsverständnis vorgreifen. Metaphern strukturieren Denkräume. Die Kulturmetapher des ›Gartens‹ lässt diese Funktionen und ihre Zweideutigkeit exemplarisch hervortreten: Solange sie intakt war und eine umfassende Gartenmetaphysik begründete, das heißt von der Antike bis zum berühmten Romanschluss von Voltaires Candide (»il faut cultiver notre jardin«), blockierte diese Metapher die Emphase einer Eigenwelt des Menschen. Der Garten ließ, was einmal ›Kultur‹ heißen sollte, im Großen und Ganzen des Kosmos verschwinden. Erst die von Goethe geprägte Krisenmetapher des ›Weltgartens‹ bezeugt die Freisetzung der modernen Begriffe ›Kultur‹ und ›Zivilisation‹, die in den großen Wörterbüchern Ende des 18. Jahrhunderts erstmals auftauchen.

Ralf Konersmann,
The creation of the world through cultural metaphor

Using the example of the concept of culture and its genesis, this article shows how visual perception anticipates conceptual understanding. Metaphors structure space for reflection and thought. The cultural metaphor of ›the garden‹ emerges as a model of this function and its ambiguity. As long as it was sound and acting as the foundation of a comprehensive garden metaphysic (as it was from antiquity until Voltaire’s famous final statement in his novel Candide – »il faut cultiver notre jardin«) this metaphor prevented emphasis being laid on man’s own surroundings. This metaphorical garden allowed what once should have been called ›culture‹ to disappear into the general, the whole of the cosmos.  Only with Goethe’s coinage of his revelatory metaphor of the ›world garden‹ did the liberation of the modern concepts of ›culture‹ and ›civilisation‹, which appeared in large dictionaries at the end of the 18th century, occur.

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Monica Juneja
The world as narrative. Reconfiguring vision in early modern Eurasia

Dieser Aufsatz behandelt Prozesse einer sich formenden und sich neu konfigurierenden Visualität in der frühen Neuzeit, betrachtet unter dem Aspekt der Schaffung und Narrativierung der Welt. Er fragt danach, in welchem Maße die Begegnung mit der Welt über das gemalte Bild vermittelt und gedeutet wurde. Infolgedessen betrachtet er die unterschiedlichen Weisen, in denen Bilder selbst durch ihre spezifischen Produktionsprozesse zum Ort der Herstellung von Weltlichkeit werden. Obwohl sein primärer Fokus auf Südasien liegt, stellt er die Erforschung künstlerischer Praktiken der Visualisierung der Welt in einen transkulturellen Bezugsrahmen, um das konstitutive Potenzial von Beziehungen über geographische und kulturelle Grenzen hinweg zu untersuchen, die durch die Wanderung von Gegenständen, handelnden Personen, Bildern, mythischen Idealen und Praktiken vermittelt werden. Das Bild der Welt und die verschiedenen Weisen seiner Darstellung werden auf zwei verschiedenen, aber miteinander in Verbindung stehenden Ebenen untersucht: erstens die abstrakte Darstellung der Welt durch einen Gegenstand, den Globus, und zweitens das Narrativ der Welt, das untrennbar ist von dem perspektivischen Blick, welcher eine Weltsicht im gemalten Bild neu konfiguriert. Dieses funktioniert dann als Raum kosmopolitischer Erfahrung aufgrund seines Potenzials, das andere visuell festzuschreiben und gleichzeitig zu zähmen.

Monica Juneja,
The world as narrative – reconfiguring vision in early modern Eurasia

The paper examines processes of configuring and reconfiguring vision in early modern times through the lens of creating and narrating the world. It queries the extent to which the encounter with the world was mediated through and constituted by the painted image. And following from this looks at the ways in which the image itself through its processes of production becomes a site of enactment of worldliness. While its primary focus is on South Asia, the investigation of painterly practices of visualizing the world is framed transculturally to examine the constitutive potential of relationships across geographical and cultural boundaries mediated through migrant objects, actors, images, mythical ideals and practices. The idea of the world and the ways of narrating it are investigated on two distinct but interrelated registers: first, the visualization of the world as abstraction through an object, the globe, and second, the narrative of the world as inseparable from a perspectival way of seeing which reconfigures vision in a painted image. The latter then comes to function as a space of cosmopolitan experience owing to its potential to visibly inscribe and simultaneously domesticate alterity.

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Thomas Elsaesser
World Cinema: Realismus, Evidenz, Präsenz

Das Weltkino (in der Nachfolge des nationalen Kinos) hat sich seit jeher gegenüber Hollywood durch seinen grösseren Realismus abgegrenzt. Ob man an den italienischen Neo-Realismus denkt, den semi-dokumentarischen Cinéma Vérité-Stil der französischen Nouvelle Vague oder aber an den klinisch sondierenden psychologischen Realismus eines Ingmar Bergmann: unsere Vorstellung von einem „repräsentativen“ oder „authentischen“ Filmschaffen sind im Allgemeinen an irgendeine Form von realistischer Ästhetik gebunden. Gleichzeitig thematisiert das Weltkino gegenwärtig immer häufiger, dass wir im Kino des 21. Jahrhunderts nicht mehr länger unseren Augen trauen können. Während filmische Verfahren, wie etwa statische Kameraeinstellungen, Schärfentiefe oder Plansequenzen – alles traditionelle Kennzeichen für eine realistische Filmästhetik und für Techniken des filmischen Dokumentarismus – immer noch Verwendung finden, werden sie heute jedoch für andere Zwecke eingesetzt. Materialistische Kritiken des filmischen Realismus im klassischen Hollywood-Kino orientieren sich nicht mehr an einem Brecht’schen Verständnis einer realistischen Ästhetik als Verfremdungseffekt, noch eifern sie dem politischen Realismus des „Third Cinema“ der 1970er Jahre nach. Stattdessen scheinen solche filmischen Techniken in den Vordergrund zu rücken, die in der Konstruktion kinematografischer Repräsentationen auf Elemente des Fantastischen und der Magie zurückgreifen, die von Geistergeschichten und spektralen Erscheinungen genährt werden. Diese Filme spielen mit linearen Zeitstrukturen, Erinnerungen und vertrauten chronologischen Ordnungen, und machen somit unweigerlich die (Sinnes-)Wahrnehmung selbst zum eigentlich zentralen Thema. Der Essay stellt theoretische und historische Zusammenhänge für die ästhetischen Transformationen innerhalb des Weltkinos vor, und diskutiert darüber hinaus am Beispiel von Filmen des koreanischen Regisseurs Kim Ki-Duk die konzeptionellen Verschiebungen in der Vorstellung von Realismus als Teil der ‚Welterzeugung durch Bilder‘. Dies könnte schließlich auch dabei helfen, umstrittene Begriffe wie ‚Evidenz‘, ‚Authentizität‘ und (Zuschauer-)‚Präsenz’ zu klären.

Thomas Elsaesser,
World cinema: realism, evidence, presence

World cinema (as a successor to national cinema) has always defined itself against Hollywood on the basis of its greater realism. Whether one thinks of Italian neo-realism, the French nouvelle vague’s semi-documentary cinéma vérité, or Ingmar Bergman’s clinically probing psychological realism: our notions of "representative" or "authentic" filmmaking are generally tied to some version of a realist aesthetics. At the same time, world cinema also partakes in the increasing realization that in the cinema of the 21st century, we can no longer trust our eyes. Stylistic choices like static shots, deep focus and the long take – traditional markers of an indexically secured realist ontology and the documentary mode of bearing witness – are still in evidence, but they are now being put to different uses. Likewise, materialist critiques of classical Hollywood realism no longer aspire to Brecht’s realism as distanciation, nor do they emulate the political realism of ‘third cinema’ practice of the 1970s. Instead, when foregrounding the different media that construct cinematic representations directors are as likely to resort to fantasy and magic, nurtured from ghost stories and spectral apparitions, as well as confound linear temporality, play with memory and the order of chronology, but invariably making (sense-) perception itself a major issue. The essay sketches several theoretical as well as historical contexts for these transformations in world cinema. Also discussed are some of the conceptual moves that refocus what is at issue when we speak of realism today as part of 'world-making through images'. This may help clarify contested terms as such as ‘evidence’, ‘authenticity’ and spectatorial (self-)presence, here illustrated with examples from the films of Korean filmmaker Kim Ki-Duk.

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